Allmählich wird es Tag: Roman (German Edition)
im Kleiderschrank fand er die grauen Laufschuhe.
Es war Jahre her, dass er nicht mehr gelaufen war. Seit der Knieoperation hatte er es nicht mehr versucht. Er würde es langsam angehen lassen. Vorsichtig tänzelte er auf dem Gehweg auf und ab. Ließ die Arme kreisen, rollte dann die Schultern. Legte den Kopf nach links, dann nach rechts.
»Good morning!«
Die Alte mit dem Pudel ging vorbei. Er nickte ihr zu.
Die Straße war jetzt belebter. Leute fuhren zur Arbeit. Männer mit Aktentaschen winkten ihren Frauen zu.
Langsam trabte er los. Vorbei an Peter Heffners Haus. Bemühte sich, nicht hinzusehen. Zu früh für verworrene Gedanken.
Der Gehweg war uneben. Baumwurzeln hatten die Platten nach oben gedrückt. Überall brach der graue Beton. Die Stadt hatte kein Geld. Er zog das Tempo an, bog in eine kleinere Straße ein. Er hörte die Schuhe auf dem Asphalt. Sein Atem ging schneller. Er bemühte sich, regelmäßig ein- und auszuatmen. Spürte seinen Rücken. Die steifen Hüften.
Es war noch kühl. Kalifornische Morgen waren herrlich. Goldenes erstes Licht. Vogelzwitschern.
Zunehmend wurden die Muskeln geschmeidiger. Er vergaß, dass er rannte. Das schnellere Tempo lag ihm. Den Blick starr geradeaus gerichtet, überquerte er eine Kreuzung, rannte die große Straße entlang. Billboards kündigten neue Fernsehserien an. McDonald’s, Starbucks, Wendy’s servierten Frühstück.
Die Sonne schien ihm ins Gesicht. Der Schweiß lief ihm die Schläfen hinunter. Er hätte die Baseballkappe gegen die Sonne aufsetzen sollen.
An der Tankstelle an der nächsten Ecke machte er Halt. Verschwitzt ging er in die Hocke, zog den rechten Schuh aus. Ein kleiner Stein fiel heraus. Es roch nach Öl und Benzin. Die Sonne brannte auf seinen Rücken.
»Tim?«
Frank. Die Stimme klang unsicher. Tim hatte seine Anwesenheit gespürt, noch bevor er ihn hörte. Wortlos blickte er zu ihm auf. Zog die Schlaufen seines Schuhs fest. Doppelknoten.
Unschlüssig stand Frank da. Im Anzug. Plastikbecher und Donuttüte in der Hand. Den Autoschlüssel in der anderen. Nervös spielten die dicken Finger mit dem Schlüsselring. Dann machte er zwei kleine Schritte auf Tim zu.
»Du bist ja früh unterwegs. Alle Achtung! Alles klar?«
Schwer atmend erhob Tim sich. Wischte sich den Schweiß von den Augenbrauen, musterte Frank. Er kannte den grauen, zu engen Anzug.
»Und bei dir?« Er klang unfreundlicher als beabsichtigt.
Frank zuckte mit den Schultern. »Kann nicht klagen.« Unwillkürlich trat er einen Schritt zurück.
Der Feigling zupfte sich am Jackett. Tim spürte, wie seine Schläfen zu pochen begannen. Er war sich nicht sicher, ob es vom Rennen kam. Langsam trat er auf Frank zu. Sein Gesicht juckte vom Schweiß.
»Scheint, als würdest du das Beste aus der freien Zeit machen.« Frank grinste dumm. Da lag etwas in Franks Blick. Tim konnte es genau sehen.
Frank wusste, dass Liz weg war. Cynthia Sheldon hatte es sofort weitergeplappert.
Das Pochen wurde heftiger. Ein Hund bellte. Hinter ihm das laute Grollen eines anfahrenden Motorrads.
Mit einer einzigen Bewegung des rechten Arms schlug er Frank den Kaffeebecher aus der Hand. Hatte nur schnell den Arm gehoben, den Ellenbogen durchgedrückt und blitzschnell zugeschlagen. Hellbrauner Kaffee spritzte auf Franks Hosenbein, der Becher fiel klatschend zu Boden. Die Donuttüte daneben. Frank wich zurück, er winselte, ließ den Autoschlüssel fallen. Doch noch bevor die dicken Finger den Schlüssel aufheben konnten, hatte Tim heftig zugetreten. Der Schlüssel rasselte über den Asphalt und blieb vor einer Zapfsäule liegen.
Franks Kopf war knallrot. Angsterfüllt blickte er Tim an. Die Hände beschwichtigend erhoben.
»Tim, ich …«
»Halt’s Maul, du Arschloch! Fuck you!«
Er brüllte so laut, dass sich der alte Mann an der Zapfsäule gegenüber erschrocken umdrehte.
Die Worte hallten in seinem Kopf nach. Ein letzter Blick auf Frank. Er kniete da, schwitzend vor Angst. Mickrig.
Tim empfand kurz Genugtuung. Er hätte Frank allzu gerne in die Fresse getreten. Aber es reichte jetzt, er riss sich zusammen. Atmete tief ein. Es war genug. Dann machte er auf dem Absatz kehrt und rannte los.
Er sprintete fast, lief die breite Straße entlang. War angespannt. Adrenalin flutete seinen Körper. Sein Atem ging laut und schnell. Erst Minuten später verlangsamte er das Tempo wieder. Die Lungen brannten. Das Pochen in den Schläfen verschwand. Er fühlte sich besser.
Als er in sein Viertel einbog, zog
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