Allmählich wird es Tag: Roman (German Edition)
vorgehen würde. Jetzt war sein Kopf leichter.
Als er auf dem schmalen Weg zum Haus ging, freute er sich darauf, den Schlüssel ins Schloss zu stecken. Drinnen war es stickig. Er warf die Tasche in die Ecke. Öffnete Fenster in Küche und Wohnzimmer, stellte die Aircondition an. Dann zog er Schuhe und T -Shirt aus und öffnete sich ein Bier.
Als er den Computer einschaltete, wieder der Screensaver. Liz’ Gesicht in Nahaufnahme. Er riss sich zusammen. Betrachtete das Bild genauer, sah die feinen Härchen auf ihrer Wange. Goldene Ohrstecker, die er ihr zu Weihnachten geschenkt hatte. Wie lange war das her? Mindestens fünf Jahre, Weihnachten 2004. Das Bild war also nicht älter als fünf Jahre.
Am Bildrand entdeckte er Gras, rote Blüten. Irgendwo in der Natur aufgenommen. Leichte Unschärfe. Er betrachtete die kleinen scharlachroten Blüten genauer. Mit Blumen kannte er sich aus. Scarlet Pimpernel oder Roter Gauchheil. Die kleinen Blumen wuchsen vor allem in der Gegend um Santa Barbara. Weniger in Los Angeles, da war er sich sicher.
Wann war Liz in den letzten fünf Jahren in Santa Barbara gewesen? Es musste im Frühjahr gewesen sein. Scarlet Pimpernel blühten nur kurze Zeit.
Er trank das Bier in einem großen Zug aus. Seltsam. Er fühlte sich wacher jetzt. Meinte sich dunkel daran zu erinnern, dass sie an einem langen Wochenende mit Meredith weggefahren war. Die hatte ein Wochenendhaus zwischen Santa Barbara und San Luis Obispo.
Das war etwa vier Jahre her. Er erinnerte sich nicht genau. Hatte Meredith das Foto gemacht? Damals hatte er kaum registriert, dass Liz einige Tage fort war.
Hatte das ganze Wochenende Golf geguckt. British Open. Tiger Woods hatte gewonnen. Das war dann Ende Juli gewesen.
Jetzt wünschte er, er könnte sich genauer an das Wochenende erinnern. Hatte er mit Liz telefoniert? Was hatte sie von dem Wochenende erzählt? Er hatte sie vermutlich nicht danach gefragt.
Er spürte innere Unruhe. Irgendetwas war da.
Noch eine Dose Bier.
Er beschloss, es für den Moment dabei zu belassen, und öffnete seine E-Mails. Jede Menge Junk. Er fand in seinem Adressfolder Dereks E-Mail-Adresse.
Er hatte die Nummer nicht im Kopf gehabt. Nur im Telefonspeicher seines Handys. Das lag zwischen Seetang und angeschwemmtem Müll irgendwo in der Brandung nördlich von Summerland.
Er fasste sich kurz: »War ein paar Tage unterwegs. Bin jetzt zurück. Ruf mich bitte an. Dad.« Dann fügte er seine neue Mobilnummer hinzu.
Nach kurzem Überlegen ein PS : »Falls du mit Mom sprichst, gib ihr bitte meine neue Nummer.« Dann überlegte er es sich anders und löschte den Zusatz. Desinteressiert überflog er anschließend seine übrigen E-Mails. Larry Greenblatt? Alfies Freund Larry?
Er öffnete die Mail. Von Larry hatte er ewig nichts gehört.
»Tim, gibt’s dich noch? Bin demnächst ein paar Tage in L.A . Diesmal kein Businesstrip! Habe vor, es richtig krachen zu lassen! Wir werden nicht jünger, mein Lieber. Bin frisch geschieden, und das muss gefeiert werden!! (Falls Liz dich von der Leine lässt.) Ruf mich an! Larry«
Er musste über die vielen Ausrufezeichen schmunzeln. Das war Larry, ein einziges Ausrufezeichen. Laut, direkt, unmäßig.
Sein erster Freund damals in L.A . Alfie hatte sie zusammengebracht, hatte ihm Larrys Nummer gegeben, als er mit einem Rucksack von Little Rock aufbrach.
Larry war fünf Jahre älter als Tim. Einer, der über alles lachte. Immer zu laut. Einer, der jedem auf die Schulter klopfte. Larry war großzügig und herzlich, manchmal zu großzügig. Er hatte immer Mädchen um sich gehabt. Gut aussehende Girls. Jünger als er selbst.
Schon bei ihrem ersten Treffen hatte Larry Tim für sich eingenommen, hatte ihn eingeladen. Lustige Geschichten erzählt, immer wieder lachend auf seine Schulter geklopft. »Du bist am richtigen Ort angekommen, mein Fraynd! Welcome to L.A. !«
Sie waren durch Bars und Stripclubs gezogen. Betranken sich. Larry grölte ihm dreckige Witze ins Ohr. Larrry, der immer Verschwitzte, dessen Gesicht immer gerötet war, immer im Anzug.
Ein Dandy.
Wenn er mit Larry ausging, wurde der Abend perfekt. Ständig wechselnde Sportwagen hielten freitagabends hupend vor seinem Haus, sie tranken noch im Auto eine kalte Dose Bier, in den Bars und Restaurants war ein Tisch vorbestellt, und die Mädchen ließen nicht lange auf sich warten.
Tim war damals noch in der Ausbildung. Lebte in einem billigen Einzimmerapartment. Besaß eine Matratze und eine Kochplatte. An der
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