Allmählich wird es Tag: Roman (German Edition)
Wand hing ein Phish-Poster.
Ein Jahr später war Larry nach New York gezogen. Er hatte einen gut bezahlten Job bei J. P. Morgan angenommen. Das andere Ende des Spektrums. Die Highend Version von dem, was Tim später seinen Job nannte.
Eine Ära ging zu Ende.
Tims Wochenenden wurden nach Larrys Umzug ruhiger. Wenig später lernte er Liz kennen.
2001 heiratete Larry ein jüdisches Mädchen von der Upper Eastside. Tim flog mit Liz zur Hochzeit nach New York. Opulente cremefarbene Blumengestecke, Streichquartett, Fünf-Gänge Menü im Ballroom des Four Seasons. Eine feudale Feier mit dreihundert geladenen Gästen. Er fand damals, dass dieser Rahmen eigentlich nicht zu Larry passte, und nahm ihm die Ernsthaftigkeit nicht so recht ab. Larry wollte sesshaft werden?
Es war auch ein Wiedersehen mit Alfie. »Hi, Tree!«, sagte Alfie damals nur. Er trug einen abgewetzten schwarzen Anzug, dessen Ärmel zu kurz waren. Sein Lächeln wirkte traurig. Die Umarmung war kraftlos. Die ehemals wilden Locken gestutzt, graue Schläfen. Er lebte noch immer in Little Rock.
Tim hatte sich nicht getraut zu fragen, ob Alfie immer noch in ihrer alten Wohnung lebte. Alfie sprach langsam, wirkte müde, depressiv.
So hatte Tim den ehemals engen Freund nicht in Erinnerung gehabt. Alfie war ihm fremd geworden.
Tim schämte sich noch heute, dass er es vermieden hatte, Liz den ehemaligen Freund und Mitbewohner vorzustellen. Sie hatten an unterschiedlichen Tischen gesessen.
Nach der Hochzeit war es stiller geworden um Larry.
Drei Jahre später hatten sie sich noch einmal in L.A. zum Essen getroffen. Larry war geschäftlich in der Stadt, mit seiner Frau. Er hatte ein teures Restaurant in Beverly Hills vorgeschlagen. Während Larry sein blutiges Steak hinunterschlang und einen Gin Tonic nach dem anderen kippte, sprach seine Frau vornehmlich mit Liz. Michele Greenblatt war damals Mitte dreißig gewesen. Hübsch. Helle Haut. Der Ehering an ihrer schmalen Hand wog mindestens zehn Karat. Tiffany’s. Typisch Larry. Big Spender.
Kurz bevor die Rechnung kam, schnappte Tim einen Gesprächsfetzen auf. »… nach der Fehlgeburt … im fünften Monat … nur noch gearbeitet …« Michele sprach leise. Tim warf einen raschen Blick auf Liz.
Ihr Gesicht war ernst, mitfühlend. Michele Greenblatt wusste nicht, was Liz durchgemacht hatte. Die Fehlgeburt hatte sie damals fast ihre Ehe gekostet.
Dann warf er einen Blick auf Larry, der ganz mit sich selbst beschäftigt war. Mit einem Zahnstocher pulte er zwischen den Zähnen. Gleichzeitig zückte er seine Kreditkarte. Amex.
Die Verabschiedung auf dem Parkplatz fiel überraschend herzlich aus. Larry drückte ihn lange und fest. Dann sagte er: »Sorry, Buddy. Wir reden ein anderes Mal. Ich rufe dich an.« Tim roch den Alkohol in seinem Atem.
Dann das Schulterklopfen.
Er erinnerte sich nicht mehr, ob Larry ihn später tatsächlich angerufen hatte. Jedenfalls waren sie sich seither nicht begegnet.
Einmal im Jahr kam eine Karte mit Neujahrswünschen aus New York. Ein steifes Porträt von Larry und Michele. »Happy Holidays! Die Greenblatts.«
Er leerte das Bier.
Larry wiederzusehen war perfekt. Sie würden zusammen um die Häuser ziehen. Wie früher. Es gab viel zu erzählen.
Zurückgelehnt starrte er auf den Screensaver. Er hatte das Gefühl, die schöne Frau in Nahaufnahme gar nicht zu kennen.
Die Scarlet Pimpernel im Hintergrund. Liz war im Oktober vor vier Jahren in Santa Barbara glücklich gewesen. Jemand hatte ein Foto davon gemacht. Ein besonderer Moment, etwas Magisches, an das sie sich gerne erinnerte.
Plötzlich wurde der Bildschirm schwarz.
Tim streckte die Beine aus. Massierte sich den Nacken. Die letzten drei Tage waren nicht ohne gewesen. Er rieb sich das Gesicht. Spürte den Bartwuchs. Das Kinn schmerzte noch, wenn er darüberstrich. Er dachte an den alten Platzwart, das Diner, Shirley, daran, dass er den Ehering abgenommen und in die Hosentasche gesteckt hatte.
Diese Tage hatten ihn erschöpft, und er fühlte, wie langsam die Müdigkeit Besitz von ihm ergriff. Er war froh, wieder zu Hause zu sein.
Er wollte schon den Computer herunterfahren, als ihm ein Gedanke kam. Er musste schmunzeln und öffnete Google Search. Als Suchbegriff gab er »Kondor, Los Angeles, Walmart« ein. Wartete gespannt. Es gab tatsächlich drei Einträge:
»… der große Raubvogel mit einer Flügelspannweite von 2,60 m musste sich verirrt haben. Kunden einer großen Supermarktkette konnten aus sicherer
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