Allmählich wird es Tag: Roman (German Edition)
Analysen zu machen. Frank ging trotzdem früher. »Familiäre Termine.« Sorgfältig hatte er die Arbeit für seinen Chef verrichtet.
Dann gab es Probleme. Gerüchte, Frank hätte Dokumente verschwinden lassen. Eine Farce. Schließlich hatte man Tim einbestellt, Frank saß in seinem Büro, den Filialleiter neben sich. Scheinheilig. Schwitzend.
Ob er die Dokumente vielleicht »verlegt« habe? Sie suchten nach einem Sündenbock. Unruhige dicke Finger zupften am Jackett, das spannte.
Da hatte er Frank die Zähne eingeschlagen. In Gedanken. Hatte angefangen zu schwitzen. Kalter Hass war unvermittelt durch den Körper geschossen, hatte in Sekundenschnelle Besitz von ihm ergriffen. Die Faust unter dem Tisch geballt, hatte er das gerahmte Bild vor sich angestarrt. Zwischen ihm und Frank, Elisabeth und die zwei Söhne, sauber gescheitelt.
Sein Nacken steif. Zehen im Schuh verkrallt. Er hatte Frank einfach nur angestarrt. Ihn später auf dem Gang abgepasst. »Wenn du noch einmal meine Loyalität infrage stellst, schlag ich dir die Fresse ein.« Leise hatte er das gesagt. Frank war rot angelaufen.
Die Dokumente waren nie wieder aufgetaucht. Frank behielt seinen Job. Trotz allem. Man ging unterkühlt miteinander um.
Er selbst war Monate später zum Therapeuten gegangen. Immer wieder hatte ihn Wut erfasst. Wie eine übermächtige Welle davongetragen. Nächte hatte er wach gelegen. Erschöpft war er gewesen. Von sich. Dunkel erinnerte er ein Gespräch mit Peter, dessen Hand freundschaftlich auf seiner Schulter lag. Peter schlug ihm vor, einen Therapeuten aufzusuchen, sensibel vorgetragen, seine Stimme sanft.
Liz hatte davon nichts gewusst. Es war ihm unangenehm, mit ihr über das alles zu reden. Wozu auch? Er hätte die Worte nicht gefunden, zu beschreiben, wie er sich fühlte, wusste selbst nicht, woher die Wut kam. Er hatte auch nie vorgehabt, das Therapeuten-Ding lange mitzumachen.
Der Therapeut hatte Gespräche angefangen, die er nicht führen wollte. Von einem »Knoten« gesprochen. Den Vorschlag, Hypnose anzuwenden, hatte Tim abgelehnt. Schließlich gab der Therapeut auf, verschrieb ihm Tegretol. Zwei Jahre lang hatte Tim die Pillen geschluckt. Die Wut verzog sich. An der Oberfläche herrschte seither Ruhe.
Bis zum letzten Freitag. Fünf Tage, nachdem Liz verschwunden war.
Er hatte versucht, Ruhe zu bewahren. Alles war im Fluss geblieben. Nichts hatte er an sich herangelassen. Dann saß Frank vor ihm, die dicken roten Finger knetend.
Umständlich erklärte er, warum er kürzen musste. Warum es die Endvierziger traf. Blablabla. Wieder starrte Tim auf das gerahmte Bild auf dem Schreibtisch. Ein neues Bild. Wieder Elisabeth mit den Jungs. Sie hatte jetzt ein paar Kilo mehr. Falten. War ernster. Die Jungs gelangweilt.
»Soll dir jemand beim Packen helfen?« Langsam stand Frank auf. Finaler Händedruck. »Meld dich, wenn du was brauchst.«
Mechanisch hatte er zusammengepackt. Ein paar schwarze Ordner, seinen Locher, New York Times, einige Energyriegel, ein Bild von Derek, Bleistifte.
Blick zurück. Leere Schreibtische, Trennwände voller Fotos und Notizzettel, Neonröhren horizontal. Er hatte im Investmentbereich gearbeitet. Nicht im großen Stil. Nichts Wallstreetmäßiges. Hatte kleine Firmen und private Investoren beraten. Nichts Aufregendes. Aber er hatte die Arbeit gemocht.
Als er mit dem Karton unter dem Arm hinausging, war der Flur leer. Er hörte seine Schritte auf dem grauen Laminat. So still war es. Mittagspause.
Taub nahm er zum letzten Mal den Aufzug ins Erdgeschoss.
Cynthia Sheldon drängte sich dazu, bevor sich die Metalltür schloss. Das rote Haar im Nacken zum Knoten gesteckt, silberne Kreolen an den Ohren. Sie sah aus wie eine verirrte Flamencotänzerin. Sie grüßte zu laut, blickte nervös auf Tims Karton.
Eilig drückte er den Knopf. Nickte ihr vage zu, stieg in der nächsten Etage aus. Dreizehnter Stock. Den Rest nahm er über die Treppe. Graues, enges Treppenhaus. Die Schritte hallten von den nackten Wänden. Während er Stufe um Stufe hinabstieg, kam die Wut zurück. Wie ein hungriges Tier kam sie mit glühenden Augen aus dem Dunkel.
Keuchend erreichte Tim einen Ausgang. Irgendwo im gleißenden Sonnenlicht auf dem riesigen Parkplatz stand sein Wagen. Orientierungslos lief er fast zwanzig Minuten über den Asphalt. Suchte sein verdammtes Auto.
Endlich lockerte er die Krawatte, warf den Karton auf den Rücksitz. Hielt das Gesicht in den immer kälter werdenden Strahl der Aircondition.
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