Allmählich wird es Tag: Roman (German Edition)

Entsetzen. Vom ehemaligen Versicherungskaufmann, der zum Penner geworden war.
    Die Ampel sprang auf Grün. Er reichte dem Penner die Zigarette. Dachte an seine eigene Krankenversicherung. Die würde bald auslaufen. Er nahm sich vor, sich zu kümmern.
    Er war angespannt. Spürte ein unangenehmes Gefühl im Magen. Er suchte einen anderen Sender. Bob Dylan. Der alte Hund.
    Er drehte auf, noch ein Bier. Von Weitem sah er das große Schild »Guitar Centre«. Sofort erfasste ihn nervöse Freude. Die Art von Unruhe, die man mit sechzehn verspürt.
    Das Guitar Centre war sein Mekka gewesen. Mindestens einmal die Woche war er mit Freunden hingepilgert. Hatte noch nie so viele Gitarren, Verstärker, Zubehör gesehen.
    Er verlangsamte das Tempo. Nichts hatte sich verändert, von außen. Unzählige Stunden hatte er im Guitar Centre verbracht. Los Angeles war ein guter Ort für ihn gewesen, nachdem er den Laden entdeckt hatte.
    Sie gründeten eine Band. Proberaum in Echo Park. Eine mit Graffiti besprühte Garage. Nachmittags Bier am kleinen See. Da, wo Jack Nicholson in »Chinatown« gerudert war. Jetzt war das Gangland. Mein Gott, die Stadt hatte sich verändert.
    Einige Meilen weiter, westlich von Bel Air, mehr Grün. Er meinte, das Meer zu riechen, leerte die Bierdose mit einem großen Schluck und rülpste.
    Summerland. Irgendwo bei Summerland war ein Campingplatz. Wenn es den noch gab, würde er dort das Zelt aufschlagen.
    Der Sunset Boulevard ging in den Highway 1 über. Küste. Das Meer links von sich, fuhr er nach Norden.
    Das Männerwochenende mit Peter. Wie lange war das her? Verdammt, warum fiel es ihm so schwer, sich daran zu erinnern?
    Peter hatte etwas auf dem Herzen gehabt. War das der Grund für das Wochenende gewesen, fragte er sich unwillkürlich.
    Peter war still gewesen auf der Fahrt, hatte viel getrunken. Sie hatten bei Summerland gecampt. Bier getrunken, Suppe auf dem kleinen Kocher heiß gemacht. Als sie endlich aßen, war es schon dunkel. Flackerndes Licht vom kleinen Feuer stand auf Peters Gesicht.
    Peter hatte von Doreen gesprochen, von Veränderungen, Sorgen.
    Doreen hatte sich zurückgezogen. Sie schliefen in getrennten Schlafzimmern. Peter sprach ruhig, eine Falte stand auf der gebräunten Stirn. »Tim, weißt du …«
    Tim mochte, wie Peter seinen Namen sagte. Eindringlich. Immer dann, wenn es ernst wurde.
    Peter fand gute Worte. Peter hatte immer gute Worte gehabt, Schwieriges zu erklären. Und Tim hatte gerne zugehört.
    Aber worüber hatten sie gesprochen?
    Die Erinnerung war weg. Nur noch Fragmente von dem Wochenende kamen zurück. Ein Stripclub. Später am Abend. Der Platzwart hatte ihn empfohlen. Sie waren schon ziemlich betrunken gewesen. Liefen zu Fuß dorthin, in Shorts.
    Dann saß Peter da, mit der vollbusigen Blondine auf dem Schoß. Schummriges Licht, laute Musik dröhnte ihnen in den Ohren. Ausladende Gesten. Schnaps. Die Luft dick, man konnte kaum atmen.
    Peter fühlte sich wohl mit nackter Haut. Tim hatte ihn nie so lachen sehen. So anzüglich. Inmitten geiler, besoffener Trucker. Es hatte ihn unangenehm berührt, daran erinnerte er sich sehr genau.
    Er selbst hatte eine Asiatin auf dem Schoß gehabt. Sie war zierlich gewesen. Ihre nackten Arschbacken lagen auf seinen Knien. Ihre Beine berührten den Boden nicht, so klein war sie.
    Steif hatte er sich gefühlt. Nicht sicher, wohin mit den Händen. Nach einigen Tequila fanden sie einen Platz auf ihren Schenkeln.
    »Er ist sooo groß!« Die Kleine lachte. Zeigte auf ihn. »Groooß!« Warf ihr Haar zurück. Immer wieder flogen ihm die glatten schwarzen Haare ins Gesicht. Sie bemerkte es nicht. Andere Mädchen kamen dazu. Staunendes Glotzen.
    »Wie groß bist du?«
    »Der ist sogar im Sitzen groß!«
    »Hast du auch ’n Großen in der Hose, Honey?«
    Dreckiges Lachen. Peter lachte mit.
    Tim fühlte sich entblößt. War genervt.
    Schließlich schubste er sie vom Schoß, sanft. Trotzdem fiel sie. Es gab Geschrei. Security kam. Sie schmissen Peter und ihn raus.
    Auf dem Parkplatz empfing sie die kühle Nacht. Frische Luft. Peter legte lachend den Arm um ihn.
    Sie torkelten zurück zum Zelt.
    Und dann?
    Angestrengt suchte Tim nach Erinnerungen. Etwas sperrte sich. Was war dann gewesen? Sie waren schlafen gegangen. Oder? Es musste spät gewesen sein.
    Er zwang sich, sich zu erinnern. Sie hatten zwei Zelte gehabt. Eins grün, das andere grau. Nein, blau. Sein Wagen, ein silberner Ford, parkte unter einem großen Baum. Der Zeltplatz war fast