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Allmählich wird es Tag: Roman (German Edition)

Allmählich wird es Tag: Roman (German Edition)

Titel: Allmählich wird es Tag: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franka Potente
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Erst als ihm eisige Luft ins Gesicht fuhr, schnallte er sich an und startete. Jeder Muskel angespannt. Er fuhr zu schnell. Ziellos.
    Schlug Frank in Gedanken immer wieder ins Gesicht, brach ihm wieder und wieder das Nasenbein. Riss ihm die zu enge Jacke herunter. Stieß ihn gegen die Wand, schlug ihm die Faust in den weichen Körper.
    Das Blut pochte ihm in den Schläfen. Er griff das Steuer so fest, dass seine Knöchel weiß wurden. Rasend nahm er irgendeine Abfahrt. Der Freeway war überfüllt. Die Verlockung zu groß, mit voller Wucht auf den Vordermann aufzufahren.
    Er bog links ab, rechts. Zu schnell in einen Drive-through. Taco Bell. Mexikanisches Fast Food. Wahllos bestellte er einen Burrito. Minuten später lag die weiße Schachtel auf seinen Knien. Er spürte die Wärme durch das Styropor.
    Einige Meter weiter ein Typ im Anzug, in grauem Mercedes SUV , gierig das Essen schlingend.
    Nach zwei Bissen erfasste Tim eine neue Welle der Wut. Er unterdrückte den Impuls, das Hühnchen-Reis-Bohnengemisch an die Windschutzscheibe des Mercedes zu werfen. Durchatmen. Dann schob er die weiße Schachtel unter den Sitz.
    Jetzt hatte sich Schimmel gebildet, Zeit war vergangen. Seine Wut war verebbt. Die Gedanken an Liz hatte er im Griff. Alles war irgendwie im Fluss.
    Er würde campen. Er würde die Freiheit nutzen! Sollte Liz und Frank doch der Teufel holen!
    Jahrelang war er jeden Tag dieselbe Strecke gefahren. Vom Haus zum Büro und zurück. Morgens zwanzig Minuten, zurück fünfundvierzig. Sonntags zum Golf.
    Die Stadt war ihm fremd geworden. Jetzt machte er einen Schlenker durch Silverlake. Rechts das Wasserreservoir. Die Oberfläche glänzte frisch. Er bekam plötzlich Lust hineinzuspringen, blieb aber auf dem Gas. Sein Ausflug war wichtiger.
    Schwitzende Jogger drehten ihre Runden. Die dünnen Stämme der Palmen bogen sich im sanften Wind. Keine Wolke am Himmel. Nur Blau. Ein perfektes Bild.
    Wenig später die Abzweigung zum Griffith Park. Vor seiner Knieoperation vor fünf Jahren war er regelmäßig gelaufen.
    Saftiges Grün, keine Spur von Smog und Hitze. Nur sein Atem und knirschender Kies. Die Sonne war orangerot über dem Aussichtspunkt aufgegangen. Danach hatte er sich erfrischt und wach gefühlt. Der Therapeut hatte es ihm empfohlen.
    An Wochenenden frühe Spaziergänge zum Aussichtspunkt. Liz und er hatten immer Wasserflaschen dabei gehabt. Sie trug kein Make-up, rosige Wangen, glänzend von Schweiß. Das Haar klebte ihr am Hals, da, wo das zarte Silberkettchen in der kleinen Mulde lag. Ein gestohlener Kuss hinter einem Baum, als wären sie Teenager. Später Tamales beim Farmers Market. Ein perfekter Tag.
    Fuck Liz!
    Was tat sie jetzt gerade? Würde sie den Park meiden? Würde sie mit dem Neuen Tamales auf dem Markt essen? Er drehte das Radio laut, öffnete mit einer Hand eine Dose Bier. Ließ die bunten Taquerias und mexikanischen Supermärkte auf dem Hollywood Boulevard hinter sich. Nahm die Western Avenue in nördliche Richtung, den Sunset Boulevard in westliche Richtung.
    Die Gegend hatte sich verändert. »Nude Girls«, »Girls, Girls, Girls«, »Go-Go-Bar«. Überall blinkende Reklame, rote Lämpchen. In den kleinen Strip Malls ein Discountladen neben dem anderen. Viele leere Schaufenster mit gelben Aufklebern »For Rent«.
    Als er vor einer Ewigkeit mit einem Rucksack aus Arkansas gekommen war, hatte es hier anders ausgesehen. Er konnte sich an kleine Buchläden, Billiardsalons und Cafés erinnern. Mehr Menschen waren damals auf der Straße gewesen. Jetzt sah er nur einige Skateboarder und Penner.
    An der nächsten Ampel ließ er das Fenster herunter. Blies den Rauch aus dem Fenster und schloss die Augen. Spürte die warme Sonne auf Stirn und Nase.
    »Hey, Bruder, haste ’n paar Münzen?«
    Der stinkende Mann war zu nah an den Wagen getreten. Sonnengegerbtes Gesicht, Staub in den Falten um die Augen. Wirres Haar, starr vor Dreck.
    Tim hatte keine Lust, nach Geld zu kramen. »Sorry, Mister …«
    »Ich nehm auch die Zigarette, Bruder.«
    Der Mann war nicht älter als er. Oben fehlten ihm Zähne. Tim sah weg.
    Richard Gerber fiel ihm wieder ein. Ein alter Schulfreund von Liz. Richard hatte seinen Job verloren und damit die Krankenversicherung. Ein Jahr später wurde ein Tumor bei ihm entdeckt. Die Chemotherapie und zwei Operationen kosteten ihn die zwei Autos und das Haus. Ein Jahr später war Richard Gerber geheilt. Aber er lebte auf der Straße. Sie hatten immer wieder von ihm gesprochen. Mit

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