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Allmählich wird es Tag: Roman (German Edition)

Allmählich wird es Tag: Roman (German Edition)

Titel: Allmählich wird es Tag: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franka Potente
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Fahrräder, daneben Gartenwerkzeuge. Und der mintgrüne Buick. Schnittig. Poliert. Der Kühlergrill breit, silbern glänzend.
    Er schob den Schlüssel ins Schloss der Wagentür. Er passte. Ungläubig ließ er sich auf den Ledersitz der Dreierbank gleiten. Der Geruch im Wageninnern, altmodisches Leder und Politur, war ihm sofort vertraut. Der Vater rauchend am Steuer. Ließ ihn das Radioprogramm auswählen. Regen, der gegen die Windschutzscheibe prasselte. Der Vater fuhr ihn von einem Baseballspiel nach Hause. Ihre besten Momente hatten sie in diesem Auto verbracht.
    Der Vater hatte ihn als Teenager niemals den Wagen fahren lassen. Waschen und polieren durfte er ihn. Das war alles. Unfassbar. Sein Vater hatte ihm tatsächlich den Buick vermacht.
    Vorsichtig drehte er den Schlüssel um, trat leicht aufs Gas. Sofort drehte der Motor hoch, die Karosserie erzitterte.
    Eine Weile saß Tim nur da. Er genoss das Geräusch des Motors, den Geruch der Kindheit.
    Behutsam schloss er Wagen und Garage wieder ab.
    Die Sonne war hinter den Wolken hervorgekommen. Es wurde wärmer.
    Erst in zwei Wochen würde der neue Job beginnen. Er genoss den Gedanken, wiederholte ihn im Kopf noch ein paarmal.
    Rauchend lief er durch sein altes Viertel. Im Sonnenlicht sahen die heruntergekommenen Häuser weniger trostlos aus. Er grüßte einen alten Mann, der vornübergebeugt in seinem Vorgarten stand.
    Dann hörte er noch einmal seine Mailbox ab. Eine Nachricht von Liz. Die Aufregung fuhr ihm wie ein Blitz durch den gesamten Körper.
    »Hallo, Tim.« Sie sprach leise. Wie immer. »Ich weiß, ihr seid in Arkansas. Ich wollte nur sagen … herzliches Beileid. Agnes hat es mir gesagt.« Dann eine lange Pause. Fast dachte er, sie habe aufgelegt. Schließlich sagte sie: »Ich hoffe, es geht dir gut. Derek hat sehr liebevoll von dir gesprochen.« Wieder eine Pause. »Dies ist meine Nummer. Vielleicht … vielleicht hören wir uns demnächst mal.«
    Dann hatte sie aufgelegt. Tim steckte das Handy zurück ins Jackett. Zündete noch eine Zigarette an. Ließ ihre weiche Stimme nachhallen. Sie hatte nett geklungen. Mehr war nicht nötig. Alles war so, wie es sein sollte.
    Er traf die Familie auf dem Parkplatz vor dem Restaurant.
    Die Alten wirkten müde. Es herrschte eine ruhige, friedliche Stimmung. Tim hatte das Gefühl, dass seine Abwesenheit allgemein nicht bemerkt worden war.
    Geschlossen gingen sie zum Krematorium. Nachdem sie ein letztes Dokument unterschrieben hatte, nahm Agnes die schmucklose Urne entgegen.
    »Möchten Sie eine Tüte?«
    Die Dame im schwarzen Kostüm sah Agnes fragend an.
    »Ja, bitte.«
    Sie trugen die sterblichen Überreste ihres Vaters in einem Metallgefäß, das einer Kaffeedose ähnelte, in einer braunen Papiertüte hinaus.
    Derek ging auf dem Parkplatz auf und ab. Er telefonierte. Buchte sich auf den letzten Flieger des Tages. Es herrschte allgemeine Aufbruchstimmung. Man verabschiedete sich. Donald und Esther drückten Tim herzlich an sich. Ihre Augen waren feucht. Jim schlug ihm heftig auf die Schulter. »Mach’s gut, mein Sohn. Alles Gute.«
    Sam hatte den Arm um Agnes gelegt, die die braune Papiertüte fest im Arm hielt. Tim umarmte seine Schwester lange. Strich ihr das Haar aus dem Gesicht. »Kommt mich mal besuchen in L.A . Wirklich. Ich würde mich freuen.« Er hatte schon jetzt das Gefühl, dass er sie vermissen würde.
    Sam und er reichten sich die Hände. Dann gingen sie auseinander.
    »Wenn wir den Sieben-Uhr-Flug erreichen wollen, müssen wir gleich los!«, sagte Derek.
    »Der Alte hat mir den Buick vermacht. Ich fahre mit dem Wagen zurück.«
    Er fuhr Derek zum Hotel. Der sandfarbene Teppich auf dem langen Flur schluckte das Geräusch ihrer Schritte. Vor Dereks Zimmertür blieben sie stehen.
    »Ich muss in vierzig Minuten los zum Flughafen.« Derek lächelte. »Lass uns nächsten Sonntag Golf spielen!« Tim grinste. »Danke für alles.«
    Es fühlte sich gut an. Mein Gott, sie hatten in den letzten Tagen ein beachtliches Stück Weg zusammen zurückgelegt.
    Nachdem er beim Roomservice einen Burger bestellt hatte, duschte er. Es war früher Abend. Er trat aus der Kabine und ging nach nebenan. Nackt stand er mitten im Zimmer. Atmete ruhig. Spürte letzte Wassertropfen den Rücken herunterrinnen. Er öffnete das Fenster weit. Milder Abend in Arkansas. Er konnte es nicht erwarten, mit dem Buick durch die Nacht zu fahren. Mit dem schweren Wagen über die endlosen Straßen zu rauschen. Staat um Staat zu durchqueren.

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