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Allmählich wird es Tag: Roman (German Edition)

Allmählich wird es Tag: Roman (German Edition)

Titel: Allmählich wird es Tag: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franka Potente
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Blick. Die Frau am Nebentisch warf ihnen einen strengen Blick zu. Rückte ihr Stühlchen unmerklich ein Stück weg von ihnen.
    Tim starrte den Sohn an.
    »Ja, du hast Mom geschlagen! Dann hast du Pillen genommen und geschworen, es nie wieder zu tun. Als es dann wieder passiert ist, war Peter da … Peter hat Mom beschützt. Vor dir! Doreen hat irgendwann mitbekommen, was lief. Sie sind weggezogen. Ende der Geschichte.«
    Die Ungeheuerlichkeit brachte ihn unvermittelt auf die Füße. Das Pochen explodierte in den Schläfen. Er sprang so abrupt auf, dass sein Stuhl umfiel. Blitzschnell griff er über den Tisch und erwischte den Sohn mit beiden Händen am Kragen. Riss ihn hoch. Drückte zu.
    »Das ist nicht wahr!«
    Derek keuchte laut. Versuchte, sich aus der Umklammerung zu befreien. Ein Glas fiel um. Besteck fiel klirrend zu Boden. Die Frau am Nebentisch rief nach dem Kellner. Das ganze Restaurant sah sie an, wie sie miteinander rangen.
    Er schleuderte Derek herum. Der Tisch fiel zur Seite. Die Gäste am Nebentisch sprangen auf. Derek wehrte sich jetzt, holte aus und erwischte Tim an der Nase. Warm spürte er Blut über sein Kinn laufen. Jemand stieß einen kleinen Schrei aus.
    Schlagartig kam Tim zu sich, ließ von seinem Sohn ab.
    Er schüttelte den Kellner ab, der ihn am Arm gegriffen hatte. Stand keuchend da.
    Auch Derek atmete schwer. Richtete sich Hemd und Jackett. Sein Blick hasserfüllt.
    »Das ist mein Vater!«, schrie er, als Tim sich zum Gehen wandte.
    Das ganze Restaurant war erstarrt.
    Tim nahm den Umschlag vom Boden auf und verließ The Ivy. Langsam. Wie in Trance ging er vorbei an den kleinen Tischen, flüsternden Damen, erschrockenen Gesichtern. Niemand hielt ihn auf. Niemand folgte ihm.
    Erschöpft trat er ins Licht.
    Zum zweiten Mal, seit Liz gegangen war, rannen ihm Tränen die Wangen herunter. Er ließ es geschehen. Bemerkte die Blicke nicht. Lief ziellos die Straßen entlang, rempelte Passanten an.
    Irgendwann fand er den Wagen und setzte sich schwer in den Sitz, den Umschlag auf seinem Schoß. Er hielt sich am Steuer fest und ließ den Kopf einfach hängen.
    Tränen und Rotz tropften in seinen Schoß, der Knoten hatte sich gelöst.

12
    Zurück in Atwater. Die Schritte zur Haustür. Wieder das Schloss, das klemmte. Wieder das leise Quietschen, bevor die Tür schwer hinter ihm ins Schloss fiel.
    Dunkel lag der Flur vor ihm. Das Rauschen der Aircondition. Wieder die kleinen Möbel.
    Stille.
    Taub stand er im Flur. Reglos minutenlang.
    Wie schön es wäre, wenn jemand käme. Seine Hand nehmen würde. Ihn führen, ihm leise zuflüstern würde, wie es jetzt weitergehen sollte. Jemand, der alles besser machen würde, der Liz’ Sanftheit besaß.
    Langsam zog er sich aus. Schuhe, Socken, Hose, Hemd. Dann die Boxershorts und das Unterhemd. Er ließ alles zu Boden fallen. Den Umschlag legte er obenauf.
    Nackt stand er da. Spürte kühle Luft auf der Haut. Fühlte sich unmittelbar leichter.
    Er schloss die Augen. Die Bilder kamen sofort. Wie rasende Köter, endlich von der Leine gelassen, rannten sie auf ihn zu.
    Liz’ verheultes Gesicht. Sie gestikuliert. Sie streiten sich. Liz trägt den dunkelblauen Kaschmirpullover mit V -Ausschnitt. Es ist Herbst. Sie stehen in der Küche. Umkreisen sich. Er sagt etwas. Schlägt mit der Hand auf die Anrichte.
    Aufgebracht wendet sie sich ab. Seine Hand greift ihren Oberarm. Mit der anderen Hand holt er aus und schlägt zu. Trifft sie im Gesicht. Ihr Körper zuckt zusammen. Der Abdruck seiner Hand auf der porzellanweißen Haut. Liz weicht zurück. Das Haar im Gesicht. Sie hält sich die gerötete Wange. Ihre Augen ungläubig geweitet.
    Er öffnete die Augen. Die Wahrheit hatte jahrelang in seinem Kopf gesteckt. Nun dieser Streit mit seinem Sohn, der Hass in seinen Augen.
    Ein Gefühl von Übelkeit überkam ihn. Die Knie wurden weich. Schwindelnd ging er ins Bad. Der Magen rumorte, krampfte sich zusammen. In einem heftigen Schwall erbrach er sich in die Wanne. Sein nackter Körper schwer über dem Wannenrand. Es schmerzte, das kühle Acryl auf der Haut zu spüren. Ein Knie auf den harten Fliesen, das andere auf der weichen Badematte.
    So blieb er eine Weile hocken, spürte immer neue Wellen von Krämpfen. Kotzte wieder und wieder.
    Bis es gut war.
    Irgendwann legte er das verschwitzte Gesicht auf dem Wannenrand ab. Stille kehrte ein.
    Er hörte im Garten die Vögel zwitschern.
    »Tim? Bist du da? Die Tür war auf!«
    Er schreckte hoch. Hörte Schritte auf dem

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