Allmählich wird es Tag: Roman (German Edition)
Rasenmäher herauswuchtete, ließ er den Blick über den Rasen wandern. Er war ordentlich gestutzt. Die Ränder sauber. Darauf achtete er besonders. Er hatte in Mexiko einige Semester Gartenbau und Botanik studiert und war stolz auf seine Ausbildung.
Dann fiel ihm ein grauer Film auf den sonst saftig grünen Halmen auf. Erstaunt ging er in die Hocke und ließ die Hand über das Gras gleiten. Asche. Erst jetzt nahm er den Geruch von Verbranntem wahr. Etwas stimmte nicht.
Mario Sanchez überlegte. Es wäre ihm lieber gewesen, er hätte damit nichts zu tun. Es war für einen mexikanischen Gärtner nicht gut, in unsaubere Dinge verstrickt zu werden. Verantwortlich gemacht zu werden. Aber hier stimmte etwas ganz und gar nicht. Vorsichtig ging er ums Haus herum auf den Pool zu.
Wie ein gefällter Baum lag er da. Neben dem Becken, die Wange auf dem aschgrauen Sandsteinboden. Blau gestreifte Pyjamahosen, ein offener Bademantel, ein Bein hing in den Pool hinein. Eine zerborstene Flasche lag neben der großen Hand. Zwischen Daumen und Zeigefinger musste Mr Wilkins sich geschnitten haben, Mario sah einen großen rostbraunen Fleck. Mr Wilkins’ Gesicht und Haar aschfahl, stumpf von Staub und Asche. Den Pool, dessen Boden jetzt mit einem riesigen Berg dunkler Asche bedeckt war. Kein Türkis mehr zu sehen. Ein Hausschuh thronte unversehrt obenauf, er musste nach dem Feuer hineingefallen sein.
Mr Wilkins reagierte nicht, als er ihn ansprach. Mario bekreuzigte sich. Vorsichtig drehte er ihn auf den Rücken, fühlte den Puls.
Er lebte. Mario rollte seinen Anorak zusammen und legte ihn unter Mr Wilkins’ Kopf. Er roch stark nach Alkohol.
Es war Mario Sanchez nicht klar, was genau vorgefallen war. Der Pool hatte gebrannt. Das türkise Bassin war voller Ruß und Asche. Er erkannte Reste von Möbeln. Die Terrassentür stand weit offen.
Kopfschüttelnd ging er ins Haus. Sollte er einen Krankenwagen rufen? Vielleicht war Mrs Wilkins da? Als er in das leere Wohnzimmer trat und das Chaos, den Gestank wahrnahm, wusste er, dass das eher unwahrscheinlich war.
20
Heute brach eine neue Zeit an. Er spürte es am ganzen Körper. Erregtheit, Neugier, Furcht hatten von ihm Besitz ergriffen. Vielleicht war es der Restalkohol, die Wirkung der Drogen. Vielleicht verlor er nur den Verstand.
Aber er hatte das Gefühl, sich zu häuten wie ein Reptil. Die trockene, alte Haut abzustreifen. Es würde sich zeigen.
Das dachte Tim Wilkins, als er rauchend neben Mario Sanchez auf dem Rasen saß. Der Anblick des verrußten Pools, des grauen Ascheberges erfüllte ihn mit Erleichterung. Etwas war spürbar zu Ende gegangen. Das filigrane Mobiliar hatte sich endlich in graue Fetzen Nichts verwandelt, die zart vom Wind davongetragen wurden.
Wortlos saßen sie da und bliesen den Rauch in die Morgenluft. Der Gärtner hatte ihm seine Jacke um die Schultern gelegt. Die Zigarette schmeckte würzig, stark. Mexikanische Zigaretten ohne Filter.
»Was ist passiert?« Mario Sanchez klang vorsichtig, sein rundes Gesicht sah besorgt aus.
Tim zog an der Zigarette. Was war passiert? Gute Frage.
»Haben Sie Familie? Kinder?«, fragte er dann.
Mario lächelte unsicher. »Ja, drei. Alle erwachsen.«
»Sind Sie glücklich verheiratet?«
»Seit vierunddreißig Jahren.«
Still nickte Tim. »War ich auch. Hab’s irgendwann versaut.« Er zeigte auf die Asche. »Das da ist das Ende. Mein Abschied.«
Der Wind bog die Lupinen. Asche wirbelte auf.
Beerdigung. Tim musste unwillkürlich an ein Begräbnis denken.
Jetzt nickte Mario Sanchez.
Als er sich umständlich erhob, knackten seine Knie. Mario rieb sich verlegen die Hände. Er könne seine Schwägerin Mercedes zum Putzen vorbeischicken.
Tim überlegte nicht lange. »Gerne.«
Mario sah zum Haus hinüber. »Ich würde sie bitten, noch heute zu kommen. Sagen wir, in zwei Stunden?«
Tim duschte ausgiebig. Ließ heißes Wasser über den Körper rinnen. Er spürte sich wieder, die Wirkung der Drogen hatte nachgelassen.
Blaue Flecken, Schürfwunden. Es schmerzte wie nach der Prügelei auf dem Campingplatz. Aber das machte ihm nichts aus. Die Erleichterung im Kopf hielt an. Das war, was zählte.
Er hatte eine große Flasche Wasser getrunken und sich einen Kaffee gemacht. Zwei Tylenole eingeworfen. Er schloss die Augen und hielt sein Gesicht in den Wasserstrahl.
Im Nachhinein war er erstaunt, dass niemand die Feuerwehr gerufen hatte. Wahrscheinlich hatten die Santa-Ana Winde schnell genug den Rauch davon getragen.
Im
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