Allmählich wird es Tag: Roman (German Edition)
Fuck. Fuck.
Dann verlor er das Bewusstsein.
19
Stille. Eiskaltes, schneidendes Schwarz. Er spürt seine Glieder nicht, kein Gewicht, keinen Widerstand. Nimmt nur Kälte und Angst wahr. Körperloses Nichts. Panik. Gleißendes Weiß geht über in tiefes Blutrot. Implodiert in Schwarz. Überwältigende Übelkeit, wo kein Magen zu lokalisieren ist. Körperlos driftet er im Schwarz.
John McClane ist tot.
Er beginnt, Geräusche zu hören. Undefinierbar, ein Schaben vielleicht, dessen Echo im Nichts widerhallt. Schritte nah am Kopf. Von weit her ruft die Mutter. »Timmy!« Zärtlichkeit in der Stimme. »Timmy!« Heiße Tränen rinnen die Wangen herunter. Das Schwarz wird weicher. Wärmer. Umrisse werden sichtbar. Er beginnt, seinen Körper zu spüren. Die nackten, zerkratzten Beine. Arme um den Leib geschlungen. Beine angezogen. Behaarte Knie auf dem Bauch. Spürt das Herz groß und schnell. Zu schnell.
Es schlägt zu schnell.
Der Atem geht stoßweise. Hechelnd. Der Druck von innen verstärkt sich. Der Körper zuckt, zittert.
In einem heftigen Schwall erbricht er sich. Fontänenartig schießt das saure Gift nach draußen. Als kehre sich das Innere nach außen. Der Magen zuckt und krampft, drückt immer mehr giftige Galle nach oben. Bis er endlich keucht und hustet.
Vorsichtig öffnete er die Augen.
»Dad!«
Verschwommen ein Gesicht. Der Sohn, Augen geweitet. Fuck.
Er schloss die Lider sofort wieder.
»Dad! Kannst du mich hören?«
Derek. Er klang besorgt. Genervt.
Tim spürte Dereks Hand auf seine Wange klatschen. Erst nur als stumpfen Druck, dann als Schmerz.
»Dad! Verdammt!« Derek schlug richtig zu.
Fuck.
Es kostete ihn unendlich viel Kraft, sich aufzurichten.
»Alles in Ordnung.« Seine eigene Stimme klang fremd.
»Alles in Ordnung? Sieh dich mal um hier … ein Schweinestall.« Der Sohn reichte ihm eine Decke. Sie war verklebt, feucht und stank nach Bier. Tim würgte.
»Ich habe nichts anderes gefunden.« Derek klang angewidert. Er stützte ihn. Kniete neben ihm, bemüht, nicht in die große Pfütze Erbrochenes zu treten. Er schob den Sessel zur Seite. Dann wischte er Tim mit einem harten Küchentuch Erbrochenes von Gesicht und Brust.
Scherben und aufgeweichte Kippen überall auf dem Boden. Das Wohnzimmer war zu einer großen apokalyptischen Müllhalde geworden. Es fiel ihm schwer, die Augen offen zu halten, aufrecht zu sitzen.
Das Holz der Sitzgruppe voller Kratzer und Schlieren, der beige Teppich bis zur Unkenntlichkeit verdreckt, Bierpfützen, Zigaretten, Rotwein, der Scheißeiersalat, Erbrochenes. Sofa und Sessel voller Brandlöcher und Kotzflecken. Es stank unbeschreiblich.
Vorsichtig hievte Derek ihn auf das Sofa. Ächzte, als er ihn herunterließ.
Dann öffnete er die Glastüren zum Garten. Frische, kühle Luft strömte herein. Derek wirkte ratlos.
»Ich habe Kaffee aufgesetzt. Vielleicht hilft das …«
Irgendwann hielt Tim eine dampfende Tasse in der Hand. Nahm vorsichtig einen Schluck. Der Sohn stand mit verschränkten Armen da, betrachtete ihn schweigend.
»Ich muss gleich los. Ich bin in der Mittagspause weg.« Er klang vorwurfsvoll, ärgerlich. »Du hast mir letzte Nacht eine wirre Textnachricht geschickt. Dass du sterben musst.«
Tim nahm einen Schluck Kaffee. Verkroch sich hinter der Tasse. Fuck.
»Erinnerst du dich daran? Verdammt, was ist denn in dich gefahren?«
Tim rieb sich das Kinn. Shit. Er spürte den Schmerz in den Schläfen pulsieren. Aber der Kaffee tat seine Wirkung. Langsam kam er zu sich. Er zog die feuchte Decke enger um den Körper, spürte das nasse Sofa unter dem Hintern, roch den Gestank von Kotze, kaltem Rauch und Alkohol. Fuck.
»Hast du eine Zigarette?«, fragte er.
Derek schüttelte den Kopf. Er ließ den Blick über das Chaos gleiten, ohne seinen Vater noch einmal anzusehen. »Ich bin mir sicher, irgendwo hier im Müll findet sich eine.«
Auf wackeligen Beinen stakste er durch das Wohnzimmer. Fühlte sich immer noch vergiftet. Wie von den Toten auferstanden. Im Schlafzimmer fand er Pyjamahose und T -Shirt. Darüber den Bademantel, es schüttelte ihn vor Kälte. Pantoffeln. Damit er sich nicht die Füße aufschnitt. Es war 14.38 Uhr.
Er fand tatsächlich eine halb volle Schachtel Zigaretten. Gierig riss er sie auf und rauchte zwei hintereinander. Dann öffnete er eine lauwarme Dose Bier. Das war der beste Weg, nüchtern zu werden. Er besah sich das Chaos. Schämte sich unvermittelt.
Fuck.
Fuck.
Bis halb fünf saß er auf der Couch. Rauchte.
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