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Allmählich wird es Tag: Roman (German Edition)

Allmählich wird es Tag: Roman (German Edition)

Titel: Allmählich wird es Tag: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franka Potente
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Mabel, die ihren Mann früh verloren hatte, hatte ihren Sohn sehr vermisst.
    Aufmerksam betrachtete Derek die alten Bilder. Jonny, vor einem Moped posierend. Dann Tim und Jonny auf ihren Mopeds. Teenager. Gut aussehende Jungen.
    Mabel Povec sagte unvermittelt: »Er hat sich erhängt, Timmy. Vor fünf Jahren.«
    Das düstere Jaspergefühl kam mit voller Wucht zurück. Mabel Povec putzte sich die Nase.
    »Das tut mir leid, Mrs Povec.«
    Jonny hatte sich erhängt. Verdammt.
    Als sie aufsah, lag ein Schleier auf ihrem Blick. »Wie geht es deinen Eltern? Jetzt erzähl du mal. Ich habe Lydia und Paul lange nicht gesehen.« Ihre Stimme war plötzlich heiter.
    Er tauschte einen kurzen Blick mit Derek.
    »Sie lassen Sie schön grüßen.«
    Er beschloss, zu Fuß zum Hotel zurückzulaufen. Gehen. Rauchen. Nicht reden müssen. Er wollte ein wenig durchatmen.
    Langsam ging er die menschenleere Straße entlang. Mit Jonny hatte er seine erste Kippe geraucht. Zusammen waren sie nachts mit den Mopeds gefahren. Um die Wette. Jonny hatte ihm von seinem ersten Sex mit Ellen Wodracki erzählt.
    Jonny wollte Automechaniker werden. Soviel er wusste, hatte Jonny später eine kleine Werkstatt im Nachbarort gehabt. Wie kommt jemand wie er dazu, sich zu erhängen?
    Tim steckte sich noch eine Zigarette an. Dann klingelte sein Handy. Die Nummer war ihm unbekannt. Er hatte keine Lust abzunehmen.
    An der Tankstelle kaufte er eine neue Schachtel Zigaretten. Die dicke Frau hinter der Kasse musste so alt sein wie er.
    Er versuchte, das Namensschild zu lesen. Lauren Rosinski. Der Name kam ihm bekannt vor. Sie hatte rötliches Haar und Sommersprossen auf den kräftigen Unterarmen. Gelangweilt tippte sie den Preis in die Kasse ein und nahm sein Geld entgegen.
    »Entschuldigung, waren Sie damals auf der Highschool in Harrison?«
    Erstaunt blickte sie ihn an. »Wie bitte?« Es lag etwas Tumbes in ihrem Blick.
    Fast bereute er, sie angesprochen zu haben. »Ich bin in Jasper aufgewachsen. War auf der Harrison High, Mrs Schulmans Klasse. Das ist fast vierzig Jahre her.« Er versuchte ein Lächeln.
    Sie überlegte. »Ja. Ja, war ich.«
    Er reichte ihr die Hand über den Tresen. »Tim Wilkins. Wir müssen in derselben Klasse gewesen sein.«
    Sie drückte emotionslos seine Hand. In ihrem Blick sah er, dass sie keinen blassen Schimmer hatte, wovon er redete.
    »Cool«, sagte sie
    Dann wandte sie sich wieder der Kasse zu.
    Er verließ den Ort und schlug die ländliche Straße Richtung Hotel ein. Sie wand sich durch sattes Grün, Äcker, und kleinere Waldstücke, bis sie hinter einem Hügel aus seinem Blick verschwand.
    Er genoss den Ausblick und die Stille und ging mit weiten Schritten in der Mitte der Straße. Links und rechts Kornfelder. Der Geruch von Regen lag in der Luft. Unwillkürlich ging er zügiger.
    In der Innentasche seiner Jacke spürte er sein Handy. Er nahm es heraus und hörte die Mailbox ab. Er musste ein Ohr zuhalten, der Wind pfiff, er konnte kaum etwas verstehen.
    »… Tim … ist Dee …om Guitar Centre. Sorry … Rückruf hat etwas länger gedauert …« Im Hintergrund hörte er Musik, Leute sprachen. Er drückte das Telefon fester ans Ohr. Sein Herz begann schneller zu schlagen.
    »…ürden gerne mit dir …menarbeiten! Betrachte dich als angeheuert! …as wäre gut und … Arbeitsbeginn wäre in zwei Wochen. Ruf zurück … Einzelheiten besprechen … Bis dann!«
    Er spielte die Nachricht noch einmal ab. Dann reckte er die Faust.
    »Yesssssss!«
    Er hatte den Job! Er hatte den Job beim Guitar Centre!
    Er rannte die Straße hinab. Schnell. Der Wind griff in sein Haar. Er hörte seinen keuchenden Atem. Lachte.

26
    Mittags trafen sich alle vor dem Krematorium. Niemand wusste, wie die Einäscherung ablaufen würde. Tanten und Onkel warteten mit Sam im Eingangsbereich. Alle in Schwarz.
    Beklommen saßen sie auf der taubenblauen Sitzgruppe. Es gab einen Kaffeeautomaten und einen Trinkwasserspender.
    Nur Tim, Agnes und Derek folgten dem Mann im grauen Kittel. Die Schritte gedämpft auf grauem Linoleum. Tim fühlte sich unwohl. Der Ort war unheimlich, aseptisch. Nur ein leises Summen durchbrach die Stille.
    Er spürte das Vibrieren seines Handys in der Innentasche des Jacketts. Eilig stellte er es aus.
    Ein letztes Mal mussten sie den Vater identifizieren. Fast hätte er das wächserne Gesicht berührt. Dem Impuls nachgegeben, die kalte Wange zu streicheln. Aber er tat es nicht. Der Leichnam, in milchig weiße Folie gewickelt,

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