Allmählich wird es Tag: Roman (German Edition)
Körper verbrennen zu lassen kam Tim ungewohnt modern für ihn vor.
Daisy unterbrach seine Gedanken. Sie beugte sich über den Tisch. Sprach laut. »Tim, wo ist deine Frau? Liz?«
Agnes warf ihm einen schnellen Blick zu. Die Familie war nicht informiert. Vielleicht hatte Liz sich eine Tür offen gehalten?
Er zögerte. »Liz, ja. Wir leben seit kurzer Zeit getrennt.« Wandte sich wieder seinem Apple Pie zu.
Daisy schüttelte den Kopf. Sie war offensichtlich angetrunken.
»Früher hätte man nicht so einfach die Flinte ins Korn geworfen …« Sie sah in die Runde.
Jake warf Tim einen entschuldigenden Blick zu. Sein Kopf zitterte wieder.
»Nein, nein … Vielleicht hast du recht. Allerdings hat mich Liz für einen anderen Mann verlassen.« Er hielt kurz inne. Sollte er wirklich? Kurzer Blick zum Sohn. Der sah ihn ruhig an.
Sam reichte ein kleines Tablett mit Schnapsgläsern.
Tim kippte auf ex.
»Sie ist einfach gegangen. Wenn ich nicht früher nach Hause gekommen wäre, hätte ich sie gar nicht mehr gesehen.«
Das Bild seiner Frau mit Koffer auf dem Rasen flackerte auf. Er schluckte den Kloß im Hals herunter. Sah Daisy an.
»Nach all den Jahren ist sie einfach davongerannt … Ich habe bis heute keine Nummer oder Adresse, wo ich sie erreichen kann.«
Daisy sah kleinlaut auf ihre Hände.
Alle schwiegen.
»Eine Woche später habe ich meinen Job verloren. Und mein bester Freund ist gestorben.« Das klang dramatischer als beabsichtigt. Er lachte knapp. »Man kann sagen, die letzten zwei Monate waren ziemlich scheiße. Fast hätte ich meinen Sohn auch noch verloren, weil ich mich wie ein Hornochse verhalten habe …«
Agnes hatte Tränen in den Augen.
»Und dann stirbt der Mensch, der mich so gequält hat. Vater hat getrunken, das wisst ihr alle. Jahrelang hat er Mutter, Agnes und mich verprügelt.«
Er stockte.
»Ich habe nie verstanden, warum Mutter bei ihm geblieben ist. Jetzt, wo er tot ist, fällt es mir schwer, mich zu verhalten. Ich denke, ich sollte traurig sein. Aber ich fühle mich befreit.«
Er nickte der Schwester zu.
»Ich sehe Agnes glücklich mit Sam, den unser Vater jahrelang für ihren Gärtner halten wollte.«
Die allgemeine Anspannung löste sich in befreites Lachen auf.
Jake hob das Glas. »Darauf trinken wir! Immerhin hat Pauls Tod uns alle zusammengebracht!«
Gläser stießen gegeneinander. Aus dem Augenwinkel sah Tim, dass Dereks Blick auf ihm ruhte.
Agnes räumte in der Küche auf, als er hereintrat. Er legte ihr einen Arm um die Schulter. Zog sie an sich.
»Ein schöner Abend. Hätte ich nicht erwartet. Ich meine, bei dem Anlass.«
Sie lächelte müde. »Finde ich auch. Ist das mit Dads Haus okay für dich?«
»Natürlich!«
Er sah sie an. »Hör mal, Agnes. Es tut mir leid, dass ich so lange nicht da war.«
Sie gab ihm ein Geschirrtuch. Gemeinsam trockneten sie die Weingläser ab.
»Willst du mit Derek morgen mal beim Haus vorbeischauen? Ist alles noch so wie früher.«
Er wusste, dass der Haustürschlüssel unter dem Blumentopf auf der Veranda versteckt lag.
»Mal sehen.«
Sie hatten einen Tag ohne Pläne in Jasper vor sich.
Auf dem Heimweg fuhr er Schlangenlinien auf der dunklen Landstraße. Derek hielt sich mit beiden Händen am Sicherheitsgurt fest.
»Dad! Fuck!«
Tim lachte. Er fühlte sich befreit, wollte albern sein.
»Ich mach nur Spaß! Ich bin nicht betrunken!« Das stimmte nicht.
Maisfelder, Kartoffeläcker. Wenig Verkehr. Den Weg kannte er noch gut. Oft war er nachts mit seinem Moped über die Landstraße gefahren. Um dem Vater zu entkommen, um Mädchen zu treffen, allein zu sein, Zigaretten zu rauchen, heimlich.
Derek fielen immer wieder die Augen zu.
»Sag mal, woran ist Peter eigentlich gestorben?« Aus dem Nichts fiel Tim plötzlich die Frage ein, die er Derek schon beim Lunch im The Ivy hatte stellen wollen.
»Wer?« Mühsam öffnete Derek die Augen.
»Woran ist Peter Heffner gestorben? Weißt du das?«
»Er hatte Darmkrebs«, sagte Derek.
Als er auf dem Hotelparkplatz einparkte, streifte er einen Busch. Krachend fiel ein Mülleimer um. Den hatte er nicht gesehen.
Bevor sie sich am Aufzug verabschiedeten, hielt er Derek am Arm fest. »Tu mir einen Gefallen. Wenn du mal mit deiner Mutter sprichst, erzähl ihr ein bisschen. Von mir, von hier. Kannst du das für mich tun?«
»Weißt du …« Es schien, als habe Derek auch etwas auf dem Herzen. »Es ist zwar nach all den Jahren egal oder vielleicht verjährt, aber … Peter hat Mom
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