Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Allmählich wird es Tag: Roman (German Edition)

Allmählich wird es Tag: Roman (German Edition)

Titel: Allmählich wird es Tag: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franka Potente
Vom Netzwerk:
Lächelnd mit den Eltern. Der Vater hatte den Arm um ihn gelegt. Er suchte in seinem runden Kindergesicht nach Erinnerungen. Eine scheinbar glückliche Familie.
    Der einzig neuere Gegenstand war der Fernseher. Wohl Mitte der Neunziger gekauft. Fernsehen und Trinken waren immer Hand in Hand gegangen.
    Die Holzbohlen über ihm knarzten. Derek ging im Obergeschoss umher.
    Als Tim die Treppe emporstieg, fiel ihm auf, wie abgenutzt die Holzballustrade war. Er fuhr mit der Hand über die glatten, hellen Stellen.
    Das Schlafzimmer der Eltern. Er hatte es immer als kalt in Erinnerung gehabt. Schlicht. Spärlich. Lieblos. Das schmale, schmucklose Bett. Meist hatte die Mutter auf dem harten Gästebett im Nähzimmer geschlafen. Der Vater unten auf der grünen Couch. Umgeben von einem Meer aus leeren Flaschen.
    An der Wand ein Kreuz. Das Bett war jetzt mit Plastikfolie abgedeckt. Vorsichtig öffnete er den Kleiderschrank. Anzüge, Wolljacken, Hemden ordentlich nebeneinander. An der Innenseite der Schranktür hing eine Reihe Ledergürtel.
    Er erkannte sie wieder. Braun, schwere Metallschlaufen, dicker Riemen. Mechanisch griff er den dunkelsten. Diesen Gürtel hatte der Vater am häufigsten getragen. Er war kürzer als die anderen. Vom Trinken waren die Hüften schmaler geworden.
    Tim wog den Gürtel in der Hand. Das Leder war schwer. Er probierte ihn an, er musste das letzte Loch nehmen.
    Derek war im Nähzimmer. Er hielt ein gerahmtes Bild in den Händen. An der Wand zeichnete sich hell ab, wo es gehangen hatte.
    Tim sah ihm über die Schulter. Er selbst mit der Mutter. Sie war älter als auf dem Bild im Wohnzimmer, schmaler. Sein Kopf lehnte zärtlich an ihrer Schulter. Ihre Hand lag auf seiner Wange. Sie lächelte. Es versetzte ihm einen Stich, das Bild zu betrachten.
    »Das ist ein schönes Bild. Du solltest es mitnehmen«, sagte Derek und hielt es ihm hin.
    »Hallo?«
    Sie hörten Schritte unten im Eingangsbereich.
    »Paul? Bist du zurück? Lydia?«
    Der Stimme nach eine sehr alte Frau.
    Tim schaute über das Geländer nach unten und sah eine alte Frau in grauem Kittelkleid. Weißes, wirres Haar. Pantoffeln und Stock.
    Freude durchflutete seinen Körper. Er lief die Stufen hinunter. »Mrs Povec!«
    Misstrauisch kniff sie die Augen zusammen. »Langsam, Mister!« Sie musterte ihn.
    Tim war erstaunt, dass sie noch lebte. Mable Povec war damals schon alt gewesen.
    »Kennen Sie Paul und Lydia? Dies ist ihr Haus!« Nachdrücklich stieß sie den Gehstock aufs Parkett.
    »Ich bin Tim. Lydias und Pauls Sohn. Und das hier ist mein Sohn, Derek.«
    Derek war neben ihn getreten. Betrachtete die Alte neugierig.
    Ungläubig schüttelte sie den Kopf.
    Tim holte das Familienbild aus dem Wohnzimmer und zeigte es ihr. »Das haben wir damals beim Fotografen in Harrison gemacht. Bei Mr Gibson.«
    Lange betrachtete sie das Foto. Dann griff sie unvermittelt seine Hand. »Ach, Timmy! Natürlich. Der kleine Timmy!«
    Ihr Blick war klar und gegenwärtig. Sie lächelte und umarmte ihn. »Mein Gott, dich haben wir hier ja eine Ewigkeit nicht gesehen!« Sie winkte Derek heran. »Na, kommt. Ich setze uns einen Tee auf.«
    Sie folgten Mabel Povec, die die Haustür aufstieß und langsam voranging.
    Schon eine Stunde lang tranken sie Tee in Mabel Povecs kleiner Küche.
    Der Regen hatte aufgehört. Es fielen sogar einige Sonnenstrahlen durch die altmodische Gardine. »Mit Jonny hat er hier gesessen und Milch getrunken. Und Kekse habt ihr gegessen. Ein ganzes Blech Melassekekse.« Sie kicherte heiser, ihr Blick ging nach innen.
    »Wie gehts Jonny?«, fragte Tim.
    Mabel Povec seufzte. Erhob sich und setzte neues Teewasser auf. Der Kessel geblümt.
    »Ach, Timmy.« Mehr sagte sie nicht, sie verschwand ins Schlafzimmer.
    »Unglaublich, die ganzen Möbel hier sind original Fünfziger … wie in Granddads Haus. Wie auf einem Filmset.« Derek flüsterte.
    »Erinnerst du dich noch an Mabel? Sie war bei Granddads Sechzigstem«, fragte Tim.
    Derek schüttelte den Kopf.
    Mabel Povence kam mit einem Stapel Schwarz-Weiß-Fotos zurück.
    Die Bilder waren klein, quadratisch und hatten einen weißen, geriffelten Rand. Tim und Jonny in Shorts mit einem Football. Beide etwa zwölf Jahre alt. Jonny muskulös für sein Alter. Forsches Kinn. Tim groß und schlaksig. Weniger selbstbewusst.
    Tim reichte Derek die Fotos. Jonny Povec. Sie hatten beinahe ihre gesamte Jugend zusammen verbracht. Dann war Jonny zum Onkel nach Arizona gezogen. Er war bei ihm in die Lehre gegangen.

Weitere Kostenlose Bücher