Alma Mater
Sie seufzte. »Ich mach mir nichts aus dem Footballspiel. Ich komm mit zu dir nach Hause.«
»Deine Mutter wird nicht begeistert sein.«
»Meine Mutter hat eine tief verwurzelte Angst, daß ich nicht in den richtigen Kreisen verkehre. Ich hab keine Verabredung für das Spiel, da kann ich genauso gut nach Hause und gucken, ob ich bei ihr ein paar Sachen loseisen kann, sobald sie über den Schock weg ist, mich zu sehen. Ihre Collegezeit«, sagte Jinx, »war eine endlose Folge von Verabredungen, Partys, Bällen – herrje. Ich bin nicht sie. Sie war eine Schönheit.«
»Hey, Jinx, du siehst klasse aus.«
»Du siehst mich, seit wir auf der Welt sind.«
»Du mußt dir sagen, daß du klasse aussiehst. Anschauung ist alles.«
»Du hast genug für uns beide. Aber im Ernst, meine Mutter macht mich wahnsinnig. Sie glaubt immer noch, man geht aufs College, um zu heiraten. Ich kann nicht behaupten, daß deine Mutter weit davon weg ist, aber wenigstens ist sie so vernünftig, nicht zu drängen. Und außerdem hast du Charly.«
»Weil Tante Bunny schon genug drängt. Bei denen ist es anders zugegangen, nehm ich an. Weißt du, sie denken immer noch, du bist so gut wie der Mann, mit dem du zusammen bist.«
»Wir hätten in Wyoming oder Montana studieren sollen. Wir sind zu nahe an zu Hause geblieben.«
»Ja.« Vic setzte sich Jinx gegenüber auf die Fensterbank. »Aber es kostet ein Vermögen, in einem anderen Staat zu studieren, und die Unis sind richtig weit weg. Ich würde sie bloß gerne mal sehen.«
»Wir könnten abhauen.« Jinx meinte es beinahe ernst.
»Verlockend. Verdammt, es ist unser letztes Jahr, und ich habe einfach keine Ahnung, was ich mal werden soll, außer…« Vics Stimme verlor sich.
»Wir machen erst mal hier unseren Abschluß. Wenn wir gut abschneiden, können wir weitermachen. Nicht, daß ich es unbedingt wollte, aber es zögert die Entscheidung hinaus«, sagte Jinx.
»Willst du nicht auch eine Aufnahmeprüfung für Jura machen?«
»Ja. Wenn’s zum Schlimmsten kommt, kann ich in die Kanzlei von deinem Dad eintreten.«
»Das wäre allerdings das Schlimmste, ganz klar.«
Frank Savedge, ein Provinzanwalt, setzte Testamente auf und erledigte den Papierkram bei Landüberschreibungen.
Vic streckte sich aus, so daß ihre Füße an Jinx’ Oberschenkel stießen. »Weißt du was, manchmal frag ich mich, ob wir mal so enden wie unsere Mütter.«
»Ja, das frag ich mich auch. Die feministische Bewegung fand in New York und Chicago statt. Hier ist sie nicht angekommen, und wir haben schon 1980.«
»Ja, weil wir in Williamsburg erst 1940 haben. Wir hinken eben um Jahrzehnte hinter New York her.«
»Das sagt deine Mutter.« Jinx stand auf und holte eine Cola für sich und eine für Vic. In der schwülen Spätsommerhitze konnte nichts anderes den ständigen Durst löschen.
»Weißt du was, manchmal denk ich wirklich ans Abhauen. Komisch, daß du das gesagt hast. Aber ich weiß nicht, ob ich weg könnte aus dem Süden. Man hat ihn in den Knochen.«
»Ich könnte weg. Auf der Stelle. Und du könntest es auch. Außerdem könnten wir jederzeit zurückkommen«, fügte Jinx weise hinzu, während sie das eiskalte Glas an die Stirn drückte. »Wir brauchen ein Gewitter.«
»Wir brauchen mehr als das, mein Herz.« Bunny McKenna, R. J.s Schwester, hatte wo sie ging und stand einen teuren Leica-Feldstecher um den Hals hängen. Immer wenn R. J. ulkte, daß ihre Schwester vermutlich mit dem Fernglas schlief, erwiderte Bunny, das wäre aufregender als Don, ihr Ehemann.
Die passionierte Vogelbeobachterin riß das Glas unvermittelt an die Augen und murmelte: »Grünreiher.« So was konnte ganz schön nerven.
An diesem flauen Septembernachmittag, als goldenes Licht den Bootssteg auf dem Savedge-Grundstück am Ufer des James überflutete, hatte Bunny bereits zweiunddreißig verschiedene Vogelarten ausgemacht, darunter viele Wasservögel. Sie benannte auch die Leute in den vorbeigleitenden Segelbooten. Alle wurden mit bissigen Bemerkungen bedacht.
R. J. saß mit ihrem Werkzeugkasten bewaffnet in einem blauen Ruderboot am Steg und wechselte geschickt eine Rudergabel aus.
Den schwarzen Feldstecher an den Augen, ließ Bunny den Blick wieder über den Fluß schweifen. »Warum setzt Francie ihn nicht auf Diät?« Sie hatte mitten auf dem glitzernden Wasser Freunde erspäht; Nordie, der Ehemann, bediente die Pinne eines atemberaubenden
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