Alpenkasper
mir jetzt einfach entrutscht. Sorry.« Neun langte sich an die Stirn. »Heute überschlägt sich alles.«
»Tut mir leid«, entschuldigte sich Jakob. »Ich kann gern ein anderes Mal wiederkommen.«
»Nein, nein, Sie sind ja jetzt vorbereitet. Das machen wir gleich. Haben Sie einen Fotografen dabei? Du, Moni, sei so gut, mach uns doch einen kleinen Kaffee. Und Sie, warten Sie kurz hier, ich muss den anderen mitteilen, dass es in wenigen Augenblicken weitergeht. Können Sie kurz warten in meinem Büro? Das ist übrigens Oliver, dem ist gerade ein Malheur passiert. Das hat sich aber schon geklärt. Ich bin gleich wieder da.«
Beim Hinausgehen nahm er Moni in den Arm und begann, eine Melodie zu pfeifen. Jakob und Oliver standen sich an einem Besprechungstisch gegenüber. Die Wände waren tapeziert mit den Monatsleporellos anderer Stadttheater, auf dem Schreibtisch lag eine Menge unsortiertes Papier, darunter fiel Jakob derselbe Flyer auf, den er eben in die Hand gedrückt bekommen hatte. Er setzte sich auf einen Stuhl, während Oliver ihn keinen Sekundenbruchteil aus den Augen ließ.
Jakob versuchte ein Gespräch: »Wie bist du an dieses Projekt rangekommen?«, sagte er, während er einen kleinen Notizblock aus seiner Tasche zog.
Oliver trat direkt vor ihn hin und spuckte ihm einen Batzen grünen Schleim ins Auge.
Wohnraum
Katharina saß auf ihrer Couch. Sie hatte die Sektflasche geöffnet und eines von zwei Gläsern gefüllt. Der Fernseher lief stumm, Kurznachrichten und ein Werbeblock. Vor ihr lag ein Roman, ›Madame Bovary‹, sie schaute die Seiten mehr an, als dass sie las. Sie nahm das Telefon vom Tisch, auf dem auch der Umschlag mit den Schlüsseln zu dieser Wohnung lag, und schaute die Uhrzeit nach. Es klingelte. Sie sprang auf, drückte auf den Haustüröffner und wartete an der Wohnungstür auf den Besucher. Sie umarmte Jakob intensiv und ließ ihn erst dann Jacke und Brille ablegen, beide nass, vom seit Stunden rieselnden Regen.
»Alles in Ordnung bei dir?«, erkundigte sie sich. Sie beeilte sich, vor ihm im Wohnzimmer zu sein, um den Fernseher auszumachen und den Flaubert wegzulegen.
»Weitgehend«, teilte Jakob mit und fiel erschöpft auf die Couch.
»Ich hab was für den Kreislauf.« Katharina schenkte ein und reichte Jakob ein Glas zum Anstoßen.
»Du danke, ich musste heute schon was trinken und ich bekomme so schnell einen wüsten Magen vom Alkohol.«
»Ich möchte mit dir feiern.«
»Was denn?«
»Dass ich wieder eine Spur vom Birne habe.«
»Also gut.« Jakob trank und stieß unangenehm auf.
»Hat alles geklappt, was du vorhattest?«
»Einigermaßen. Ich habe nie viel vor, damit nicht viel schiefgehen kann am Tag.«
»Das klingt interessant, was du da machst«, sagte sie. »Du hast immer mit anderen Menschen zu tun. Die selbst sind ja schon so interessant, dass sie in die Zeitung dürfen, das multipliziert sich dann ja täglich.«
»Mein Gott, wenn du das so sagst, dann klingt das so gut, dass ich wieder einen Tag durchhalten kann. Sag mir doch jeden Tag so was«, klagte Jakob. »In Wirklichkeit bist du der, den man ständig schieben und schubsen kann, weil er doch seine Zeit einteilen kann und eigentlich eh nichts Ernstes zu schaffen hat. Schmeiß einen Umschlag mit Schlüsseln in seinen Briefkasten, der kümmert sich gleich drum, der hat nichts Besseres vor. Oh Mann, gib mir einen Job, bei dem einigermaßen regelmäßig Geld auf dem Konto erscheint und ich bin sofort dabei, darf langweilig sein und alles. Scheiß-Verlage, musst du dauernd anschreiben, dass sie nicht vergessen, dir das Honorar zu überweisen, immer scheißfreundlich, wenn du einen am Telefon hast, aber immer telefonieren, immer anschreiben, dass die Kohle fließt. Und selbst immer, ja, immer pünktlich und selbstverständlich gern und aufs Komma genau die gewünschte Zeichenzahl. Ja, ich muss ein Idealist sein, ich arbeite für die vierte Macht im Staat, meinetwegen hat sie diesen Anspruch noch.«
Weil Katharina nichts antwortete, nippte er am Schaumwein.
»Hast du heute schon was gegessen?«, fragte Katharina.
»Jahrelang hör ich nichts vom Bruder Birne, der lässt sich am Arsch lecken von mir. Dann kommt der Umschlag und zuerst freu ich mich irgendwo da tief drin, ist ja alles irgendwie Familie, aber dann ist da drin kein persönliches Wort, nur eine Adresse. Mein Gott, schau ich halt hin, könnt ja eine Bedeutung haben, könnt mir ja ein paar Tage Sinn ins Dasein bringen. Jetzt hab ich wenigstens
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