Als das Glück zu Frieda kam - ROTE LATERNE Band 1 (German Edition)
verarscht, Paluschke!« Den Brief hatte sie in die Schürzentasche gesteckt. Die mageren Finger griffen hinein, fühlten das Papier. Und wenn es so war wie im Märchen? Wenn der Brief nun vielleicht nur ein Stück Klopapier war, wenn sie ihn rausholte?
Frieda wagte es lange nicht, das Papier herauszuholen. Sie nahm noch einen Schluck. Der dreckige Hinterhof sah freundlicher aus. Dann griff sie energisch in die Tasche. Sie hockte auf dem Heulpodest und beguckte die Mitteilung.
Und dann heulte sie. In den Furchen ihres Gesichts rannen die Tränen hinab.
»Hattse dich wieder ...?«, fragte eine Stimme hinter ihr.
»Nee«, sagte Frieda zu Mimi. »Nee, nu nicht mehr, Kind. Ich hab im Lotto gewonnen. Nu zieh ich ihr die Schwarte ab. Komm, wir saufen uns einen. Nicht von dem Billigzeug und von dem unterm Waschbecken. Nee, von der Zunder ihrem teuren Gesöff. Hau rein, Kind, heut kost's nix. Die ausrangierte Nutte hat im Lotto gewonnen!«
»Mann, du schlägst aber Haken«, staunte Mimi. »So bläulich bist du noch nie gewesen ...«
»Ich hab mir einen getüttelt«, sagte Frieda. »Aber ich bin stocknüchtern. Wennse heute kommt, in ihrem Schwarzen, kriegtse eine geballert, dass sie aus ihr Korsett fliegt. Ich hab wirklich im Lotto gewonnen!«
»Vierer?«
»Wat weiß ich?« sagte Frieda und zeigte Mimi den Brief. Mimi griff nach der Kornflasche auf dem Küchentisch; sie stand in greifbarer Nähe.
»Menschenskind«, stieß sie dann hustend hervor. »Damit haste ja ausgesorgt. Jetzt kannste auf Rente ...«
»Nee«, sagte Frieda. »Nee, nu erst recht nicht. Nu zeig ich der Olga, wat ich kann. Der werd ich dat besorgen, dat sie abhebt, Kind.«
»Um Gottes willen, Frieda. Mach keine Sachen.«
»Keene Angst, Kleene«, sagte Frieda aufgekratzt und tätschelte vorsichtig Mimis Wange. »Sie sagen, der dat geschrieben hat von der Stunde, die einem schlägt - sie sagen, der hätte viel gesoffen. Aber die Wahrheit hat er gesagt. War gut, dat er gesoffen hat. Betrunkene sagen die Wahrheit. Komm, hol uns 'ne schöne Pulle von der Kühlung!«
»Ist doch abgesperrt, wenn die Zunder beim Figaro ist!«
»Ist immer auf, sobald sie bei der Leinwebern ihrem Zigarrengeschäft umme Ecke rum ist. Dann knack ich dat. jedes Mal. Nun geh schon. Hol zwei Pullen. Die stellen wir mitten aufn Küchentisch, damit sie gleich umfällt mit ihre neue Frisur!«
»Also, du machst mir angst«, flüsterte Mimi. Aber sie gehorchte. Dann kamen die anderen Mädchen und erfuhren von der Neuigkeit.
Frieda wurde geherzt, geküsst und »gepuppelt«, wie sie das Liebhaben zu
bezeichnen pflegte. Und man trank, lachte, sang und tanzte.
»Pflü - hühücket die Ro - hose ...«, imitierte Mimi schauerlich schön und hob den Kopf wie ein liebestoller Kater, der dem Mond seinen Weltschmerz klagt. Die schwarze Dora tanzte mit Irmchen Schlick, und Frieda wiegte mit geschlossenen Augen den alten Schrubber. Und Mimi, wie gesagt - Mimi sang.
»Ach«, sagte Frieda tief aus der Brust heraus. »Am liebsten tät ich sie alle einladen. Alle, die dat gut mit mir gemeint haben!«
Gleich darauf wurde sie tiefsinnig und schniefte.
»Wäre 'ne kleine Feier«, sagte sie. »Waren nicht viele, die dat gut mit mir gemeint haben. Bloß ihr seid gut zu mir gewesen. Und die Olga hat euch nur dat Fell über die Ohren gezogen. Singste mal dat Lied von dem weißen Mond von Maratonga, Mimi? Da kann ich immer so schön bei heulen!«
»Aber Frieda, du hast doch gar keinen Grund zu«, sagte Irmchen fassungslos.
»Hab ich auch nicht«, meinte Frieda und schniefte. »Aber manchmal ist Weinen eben sooo schön!« Und dann heulte sie wohl zum ersten Male nicht aus Kummer, sondern vor Glück. Ja, aus übervollem Herzen schluchzte und schniefte sie, dass Dora sie schließlich nicht allein lassen konnte und mit schniefte und schluchzte, bis sich die beiden schließlich in den Armen lagen. Und Mimi sang unentwegt das Repertoire der Bordellchefin Olga Zunder, die wohl jetzt unter der Haube hervorgesprungen wäre, hätte sie von den Vorgängen in ihrer Weinstube auch nur geahnt.
*
Die Fiesta war voll im Gange. Aus der Nachbarschaft hatte man etliche Mädchen eingeladen. Der Einfachheit halber oder weil ihnen das halt einfiel, hatten ein paar Mädchen aus guter Laune heraus ihre Freier mitgebracht. So ging es im »Guten Tropfen« ganz schön munter her. Und weil es nichts kostete, wurden die Flaschen in der Kühlung weniger, wogegen sich auf dem Hinterhof neben der Mülltonne ein ganz
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