Als das Glück zu Frieda kam - ROTE LATERNE Band 1 (German Edition)
verräterische Röte über Friedas Gesicht, weil eben Dora um die Ecke kam.
»Na«, versuchte Frieda herauszuwürgen. Sie wollte wissen, wohin des Weges. Aber es ging nicht. Erst nach ein paar Augenblicken war der Schinken weg und damit auch der Genuss, denn für gewöhnlich behielt ihn Frieda so lange im Mund, bis er sich fast von selbst auflöste.
»Haste wat mit dem Hals?« fragte Dora besorgt.
»Mhmm!« machte Frieda und schüttelte heftig den Kopf. »Ein Stück Mettwurst. Geschenkt gekriegt vom Schlachter.«
»Die Zunder fragt schon wieder nach dir!«
»Weißte, wat die mich kann ...?« Es folgte eine wenig freundliche und gar nicht appetitliche Einladung, der Olga gewiss nicht Folge geleistet hätte.
»Gehste wieder aufn Bahnhof?«
»Heute nicht«, sagte Dora und tippte sich an die Stirn. »Heute gehe ich ins >Zippelkistchen<.«
»Dat ist der Abstieg«, bemerkte Frieda. »Zuletzt bin ich auch da reingegangen. Waren nicht viele, die ich dort rausgeschleppt habe!«
»Besser wenige, als gar nischt«, sagte Dora. »Nee, mir langt es, so ohne Matratze. Aber in vier Wochen ...«
»Was ist da?«
»Da wird der Bulle pensioniert«, sagte Dora. »Dann können sie mich. Dann geh ich wieder in den IC-Saal. Für 'n Mittagszug ...«
»Paaaluschkeee!« dröhnte eine Stimme über die schmale Straße, die allmählich von dunklen, lauernden Gestalten bevölkert wurde.
»Olga«, sagte Frieda, und es klang wie ein Urteil. Sie murmelte ein paar Worte von guten Wünschen und etwas Ordinärem, wie es sich Dirnen untereinander wünschen und strebte dann eilig davon.
Olga stand unter der Tür. Sie trug ein grünes Kleid mit goldschimmernden Fäden und erinnerte Frieda in diesem Augenblick an einen dicken, fetten Ochsenfrosch, wie sie ihn mal auf einem Foto gesehen hatte.
»Haste meinen Lachsschinken beim Schlachter geholt, ha?«, fuhr sie auf die eilige Frieda los.
»Nee«, antwortete die mit dem Mut der Frechheit, »bei der Abdeckerei, damit du es weißt!«
Rasch und geduckt flüchtete sie. sich an Olga vorbei. Am alten Klavier saß bereits Kubinke und übte sich ein. Fritz Kubinke war blind. Er musste die schäbige Umgebung nicht wahrnehmen. Aber die hässlichen Worte, die Olga ihm gab, die schmerzten sein empfindliches Gehör. Und noch mehr seine Seele. Denn das Leben hatte es nicht gut gemeint mit ihm ...
»Spiel wat!«, befahl Olga. Sie warf Frieda einen galligen Blick nach.
»Was soll ich spielen, Frau Zunder?«, fragte der Blinde.
»La Paloma, oder wat weiß ich. Etwas, was die Männers reinlockt. Nicht so 'n Mist aus die Oper, haste verstanden? Spiel wat Anständiges, sonst schmeiß ich dich raus. Und den Weg zeig ich dir auch, du Suffkopp!«
Er trank viel, der alte Kubinke. Wenn er nicht trank oder spielte, dann schlief er. Mehr Spielraum ließ ihm das Leben nicht. Nun spielte er, und später würde er trinken, würde mit dem Taxi heimfahren und dann schlafen. Und morgen ...
»Ist das ein Pfund?«, fragte Olga unterdessen, nachdem sie ausgewickelt hatte. »Oder hast du wat abgefressen?«
»Wieg es doch nach«, riet Frieda und spielte die Entrüstete. Olga holte tatsächlich die alte Waage vom Küchenschrank. Bei diesem Manöver drohte der Stuhl aus den Verleimungen zu brechen. Jedoch Olga überstand es schadlos.
»Ist genau ein Pfund, sogar ein bisschen mehr«, stellte die Tropfen-Wirtin staunend fest. »Also, ich hätte schwören können. Na ja, ist ja auch nicht viel, so ein Pfund ...«
»Auf einen Sitz hat sie es gefressen«, erzählte Frieda später dem blinden Klavierspieler. »Ein ganzes Pfund Lachsschinken auf einen Sitz. Was sagen Sie, dazu, Herr Kubinke?«
Fritz Kubinke sagte nichts. Er spielte das Lied von der gepflückten Rose und dachte sich sein Teil, während Olga theatralisch und mit geschlossenen Augen dazu sang. Ob sie dabei vom Ruhm einer Zarah Leander träumte, wusste man nicht. Gesagt hatte es Olga jedenfalls nie. Aber sie ließ jeden Abend das Lämpchen glühen und nahm fürs Pflücken der Rose die Gebühr. Und während Olga sang, gelang Frieda bisweilen der Griff in die Kasse. Für Frieda Paluschke leider zu selten.
*
An jenem denkwürdigen Morgen kam Olga herunter. Sie bewohnte die Wohnung im zweiten Stock. Noch nie hatte eine der Dirnen die Räume von innen gesehen. Kein Wunder, dass Olgas Wohnung mit ein wenig Mythos behaucht war. Dabei ging es hauptsächlich um Geld und andere Werte.
Frieda hatte eine Stunde früher kommen müssen. Olga trug das schwarze Kostüm
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