Way Out
1
Jack Reacher bestellte einen Espresso, doppelt, keine Orangenschale, kein Würfelzucker, Styroporbecher, kein Porzellan, und noch bevor er serviert wurde, sah er, wie das Leben eines Mannes sich für immer veränderte. Nicht dass der Ober langsam gewesen wäre. Nur lief die Bewegung flüssig ab. So flüssig, dass Reacher nicht begriff, was er beobachtete. Es war nur eine Großstadtszene, die sich weltweit jeden Tag eine Milliarde Mal wiederholte: Ein Kerl sperrte ein Auto auf, stieg ein und fuhr davon. Das war alles.
Aber das war genug.
Der Espresso war nahezu perfekt gewesen, deshalb kehrte Reacher genau vierundzwanzig Stunden später in das Café zurück. Zwei Abende am selben Ort waren für Reacher ungewöhnlich, aber er fand, für großartigen Kaffee lohne es sich, von der gewohnten Routine abzuweichen. Das Café lag auf der Westseite der Sixth Avenue in New York City, etwa in der Mitte zwischen der Bleecker und Houston Street. Es nahm das Erdgeschoss eines unauffälligen dreistöckigen Gebäudes ein. In den Obergeschossen schienen anonyme Mietwohnungen zu liegen. Das Café selbst sah aus, als wäre es aus einer kleinen Gasse in Rom hierher verpflanzt worden. Drinnen gab es schummrige Beleuchtung, verkratzte holzgetäfelte Wände und eine verbeulte verchromte Kaffeemaschine, die lang und heiß war wie eine Lokomotive, und eine Theke. Draußen stand eine einzelne Reihe von Metalltischen hinter einem niedrigen Windschutz aus Markisenstoff. Reacher wählte den selben Endtisch wie am Abend zuvor und setzte sich auf den selben Stuhl. Er streckte die Beine aus, machte es sich bequem und kippte seinen Stuhl auf zwei Beinen nach hinten. So lehnte er mit dem Rücken an der Hauswand – mit Blickrichtung nach Osten, über das Trottoir und die gesamte Breite der Avenue hinweg. In New York saß er im Sommer gern im Freien. Vor allem abends. Ihm gefielen das elektrisch aufgeladene Dunkel, die heiße staubige Luft, der Verkehrslärm, das manisch schrille Sirenengeheul und das Gedränge auf den Gehsteigen. Das alles half einem einsamen Mann, sich dazugehörig und zugleich isoliert zu fühlen.
Er wurde von demselben Ober wie am Abend zuvor bedient und bestellte dasselbe Getränk: einen doppelten Espresso in einem Styroporbecher, ohne Zucker, ohne Löffel. Er zahlte, als der Espresso serviert wurde, und ließ das Wechselgeld auf dem Tisch liegen. So konnte er jederzeit gehen, ohne den Ober zu kränken oder den Cafébesitzer zu betrügen oder das Porzellan zu klauen. Reacher richtete sein Leben bis ins kleinste Details immer so ein, dass er sekundenschnell aufbrechen konnte. Das war eine zwanghafte Angewohnheit. Er besaß nichts und trug nichts bei sich. Körperlich war er ein großer Mann, aber er warf einen kleinen Schatten und hinterließ in seinem Kielwasser nur sehr wenig.
Er trank seinen Kaffee mit kleinen Schlucken und spürte die Nachthitze vom Trottoir aufsteigen. Er beobachtete Autos und Menschen. Verfolgte, wie Taxis nach Norden strömten und Müllwagen am Randstein hielten. Sah kleine Gruppen von seltsamen jungen Leuten, die in Klubs unterwegs waren. Beobachtete, wie Mädchen, die einmal Jungen gewesen waren, nach Süden stöckelten. Schaute zu, wie eine dunkelblaue deutsche Limousine in der Nähe des Cafés geparkt wurde. Beobachtete, wie ein kompakter Mann in einem grauen Anzug ausstieg und von Süden auf das Lokal zukam. Sah, wie er zwischen zwei Tischen auf dem Gehsteig hindurch nach drinnen ging, wo die Ober im rückwärtigen Teil zusammenstanden. Beobachtete, wie er ihnen Fragen stellte.
Der Kerl war mittelgroß, nicht jung, nicht alt, zu muskulös, um drahtig genannt zu werden, zu schlank, um stämmig zu sein. Sein an den Schläfen graues Haar war kurz geschnitten und ordentlich gescheitelt. Er wirkte auch im Stehen sprungbereit. Seine Lippen bewegten sich kaum, als er sprach. Seine Augen dafür umso mehr. Sie suchten unaufhörlich die gesamte Umgebung ab. Der Typ war ungefähr vierzig, schätzte Reacher, und Reacher vermutete weiterhin, er habe es auf ungefähr vierzig Jahre gebracht, indem er ständig wusste, was um ihn herum passierte. Diesen Blick kannte Reacher von Veteranen aus Eliteeinheiten, die lange Einsätze im Dschungel überlebt hatten.
Dann drehte der Ober, der Reacher bedient hatte, sich plötzlich um und zeigte direkt auf ihn. Der gedrungene Mann in dem grauen Anzug starrte hinüber. Reacher starrte über eine Schulter hinweg und durchs Fenster zurück. Blickkontakt wurde
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