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Als Hitler das rosa Kaninchen stahl

Als Hitler das rosa Kaninchen stahl

Titel: Als Hitler das rosa Kaninchen stahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Kerr
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hatte er einmal im Frühling spät in der Nacht an Herrn Rosenfelds Tür geklopft und ihn gebeten, falls er nach Paris ginge, etwas für Papa mitzunehmen. Herr Rosenfeld hatte erklärt, es würde wohl noch einige Zeit dauern, aber Onkel Julius hatte gesagt: »Ganz gleich, ich möchte es Ihnen jetzt übergeben«, und Herr Rosenfeld hatte das kleine Päckchen angenommen, um ihn zu beruhigen.
    Am nächsten Morgen war Onkel Julius tot aufgefunden worden, neben sich ein leeres Glasröhrchen, in dem Schlaftabletten gewesen waren.
    Herr Rosenfeld hatte erst Monate später Deutschland verlassen können, war aber sofort zu Papa gekommen, um das Päckchen abzuliefern.
    »Es ist auch ein Brief dabei«, sagte er.
    Die Handschrift war so sorgfältig wie immer.
    Es stand einfach da: »Lebt wohl. Ich wünsche Euch viel Glück«, und darunter stand: »Julius«.
    Lange Zeit noch nachdem Herr Rosenfeld gegangen war, dachte Anna nicht an den anderen Brief, den sie immer noch in der Hand hielt. Aber schließlich erinnerte sie sich daran und reichte ihn Papa. Er machte ihn auf, las ihn schweigend und gab ihn dann Mama.
    »Sie wollen dein Filmmanuskript kaufen!« rief Mama, und dann, als könne sie es kaum glauben:
    »Tausend Pfund...«
    »Heißt das, daß wir nicht bei Omama zu bleiben brauchen?« fragte Max schnell.
    »Natürlich«, sagte Mama, »jetzt brauchen wir euch nicht fortzuschicken. Wir können alle zusammen nach England fahren.«
    »O Papa!« rief Anna, »Papa, ist das nicht herrlich?«
    »Ja«, sagte Papa. »Ich bin froh, daß wir alle beisammen bleiben.«
    »Wenn ich daran denke, daß dein Drehbuch verfilmt wird!« Mamas Hand lag auf seiner Schulter.
    Dann bemerkte sie den verschlissenen Kragen unter ihren Fingern, »du brauchst eine neue Jacke«, sagte sie.
    »Wir wollen der Concierge Bescheid sagen und ihr kündigen«, sagte Max.
    »Nein - warte!« rief Mama. »Aber wenn wir nach London gehen, sollten wir eure Schulen benachrichtigen. Und wir müssen uns wegen eines Hotels erkundigen. Und dort wird es kälter sein - ihr braucht wollene Sachen...«
    Plötzlich mußten tausend Dinge besprochen werden.
    Aber Papa, der an allem schuld war, wollte über nichts sprechen. Während Mama und die Kinder plauderten und Pläne machten, saß er ganz still da und ließ die Worte an sich vorbeiströmen. Er hielt die Uhr von Onkel Julius in der Hand und streichelte sie ganz sacht mit einem Finger.

24
    Es war seltsam, wieder Abschied zu nehmen und in ein anderes fremdes Land zu ziehen.
    »Genau in dem Augenblick, wo wir richtig Französisch können«, sagte Max.
    Es blieb keine Zeit, Madame Socrate auf Wiedersehen zu sagen, denn sie war noch in Urlaub. Anna mußte ein Briefchen für sie in der Schule lassen. Aber sie ging mit Mama, um Großtante Sarah einen Abschiedsbesuch zu machen, die ihnen viel Glück für ihr neues Leben in England wünschte und sich sehr freute, als sie von Papas Film erfuhr.
    »Endlich gibt jemand diesem ausgezeichneten Mann Geld«, sagte sie, »das hätten sie längst tun sollen.«
    Die Fernands kamen gerade noch rechtzeitig von der See zurück, daß die beiden Familien einen letzten Abend miteinander verbringen konnten. Papa lud alle zum Essen in ein Restaurant ein, und man versprach einander, daß man sich bald wiedersehen wollte.
    »Wir werden oft nach Frankreich zurückkommen«, sagte Papa. Er trug eine neue Jacke und der müde Ausdruck war ganz von seinem Gesicht verschwunden.
    »Und Sie müssen uns in London besuchen«, sagte Mama.
    »Wir werden kommen und uns den Film ansehen«, sagte Madame Fernand.
    Das Packen dauerte nicht lange. Jedesmal wenn sie umzogen, gab es weniger zu packen. Viele Dinge waren verschlissen und weggeworfen worden. An einem grauen Morgen, nicht ganz zwei Wochen nachdem der Brief aus England gekommen war, standen sie zur Abreise bereit.
    Mama und Anna standen zum letzten Mal in dem kleinen Eßzimmer und warteten auf das Taxi, das sie zum Bahnhof bringen sollte. Der Raum, aus dem all die kleinen Gegenstände des täglichen Gebrauchs, die ihn vertraut gemacht hatten, entfernt worden waren, wirkte kahl und schäbig.
    »Ich weiß nicht, wie wir es hier zwei Jahre ausgehalten haben«, sagte Mama.
    Anna strich mit der Hand über das rote Wachstuch auf dem Tisch.
    »Mir hat es gefallen«, sagte sie.
    Dann kam das Taxi. Papa und Max stapelten das Gepäck in den Aufzug und dann schloß Papa die Tür der Wohnung hinter ihnen ab.
    Als der Zug aus dem Bahnhof fuhr, lehnte Anna mit Papa im Fenster

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