Als könnt' ich fliegen
versuchte ich, sie an der Schulter festzuhalten. Sie riss sich los und verlor auf dem weichen Untergrund das Gleichgewicht. Das war alles. Aber als sie im Sand lag, machte sie ein Gesicht, als hätte ich ihr ein Bein gestellt. Dann beschimpfte sie mich. Ich solle sie endlich in Ruhe lassen, verdammt noch mal. Wie solle sie es denn noch deutlicher sagen? Vor lauter Wut heulte sie. Schwerfällig rappelte sie sich wieder auf. Meine Hilfe lehnte sie ab. Sie schlug sogar nach mir.
»Diese Wette …«, versuchte ich unbeholfen irgendeinen Anfang.
»Ach, diese blöde Wette!«, rief sie. »Darum geht’s doch gar nicht mehr. Jedenfalls nicht allein. Kapierst du das nicht?«
»Nee«, sagte ich. »Das kapier ich wirklich nicht.«
Wieder ging sie los. Ich trottete hinterher. Nach drei Schritten blieb sie erneut stehen, drehte sich um.
»Wir passen einfach nicht zusammen!«, schrie sie. » Darum geht es!«
»Ich glaub, ich hab noch nie mit jemandem so gut zusammengepasst wie mit dir.« Ich sprach ziemlich leise. Ich hatte einen Frosch im Hals.
»Du redest Schwachsinn«, behauptete Milena. »Wir werden solche Situationen immer wieder haben.«
»Was für Situationen?« Ich hatte keine Ahnung, wovon sie sprach.
»Na, solche eben!«, rief sie. »Wie zum Beispiel die mit der Wette. Selbst wenn es wirklich nur ein Missverständnis war. Oder das hier gerade. Plötzlich lieg ich vor dir im Sand wie ein Käfer auf dem Rücken. Oder, oder, oder. Muss ich wirklich weiterreden?«
»Wenn hier einer von uns beiden Schwachsinn redet«, sagte ich, »dann bist du das.«
Milena ging weiter. Oben auf dem Dünenrand blieb sie stehen.
»Ich weiß, was es bedeutet, mit so einem Scheißbein durchs Leben zu humpeln!«, rief sie. »Du nicht!«
»Ist das ein Vorwurf?«, fragte ich.
»Ja!«, schrie sie. »Sei nicht so arrogant und tu so, als wüsstest du alles! Du kennst die mitleidigen Blicke nicht, die blöden Sprüche und all das Zeug.«
»Ich tu doch gar nicht so!« Auch meine Stimme gewann langsam an Fahrt.
Milena ging die Düne hinunter, redete dabei weiter: »Natürlich tust du das. Denn wenn du mit mir zusammenbist, musst du das auch alles mit aushalten können.«
»Wer sagt«, rief ich, »dass ich das nicht kann, verdammt?!«
»Ich!«, schrie sie. »Ich sage das! Das geht höchstens, wenn man sich wirklich … liebt. Und selbst da bin ich mir nicht sicher.«
»Vielleicht liebe ich dich?«, rief ich.
»Red kein Blech«, sagte sie.
»Milena!« Ich hielt sie am Arm fest. »Ich will kein Blech reden. Ich will auch nichts sagen, das vielleicht übertrieben ist. Aber wenn ich das trotzdem tue, dann nur, weil du mich dazu zwingst. Ich hab keine Ahnung, ob das Liebe ist, was ich für dich fühle. Aber ich weiß, dass ich dich wahnsinnig gerne hab. Und ich glaube, dass es noch viel mehr ist.«
»Das reicht nicht«, behauptete sie und stapfte weiter.
»Könntest du vielleicht mal aufhören mit deinem beschissenen Selbstmitleid?«
Ich schrie so laut wie noch nie in meinem Leben. Auch Milena erschrak.
»Ich und Selbstmitleid«, sagte sie. »Das ist wirklich lächerlich.« Es klang nicht mehr ganz so überzeugt wie zuvor.
»Du bist voll davon!«, rief ich. »Wie das Meer voll Wasser ist.«
Dann sagten wir beide eine Weile nichts.
»Setzen wir uns?«, fragte ich und wir setzten uns in den Sand. Es war an diesem Tag wieder ein bisschen wärmer geworden. Manchmal kam sogar die Sonne durch. Ich fing einfach an zu reden: »Ich weiß, dass ich alles Mögliche zusammen mit dir erleben will. Ich weiß, dass ich dich noch ganz oft küssen will. Ich weiß, dass ich noch über ganz viele Sachen mit dir reden will. Ich weiß, dass ich irgendwann mit dir schlafen will. Ich weiß auch, dass Irgendwann nicht mehr so weit weg sein soll. Reicht das?«
»Nein«, sagte sie. Aber die Zurückweisung schien jetzt schon halb gespielt. »Das alles ist nicht genug. Ich bin sehr anspruchsvoll. Ich bin die Prinzessin auf der Erbse, wusstest du das nicht?«
»Eins hab ich noch«, sagte ich. »Ich will, dass endlich alle sehen können, dass du meine Freundin bist. Ich will einfach weiter mit dir zusammen sein. Ich hab die ganze Zeit nichts anderes gewollt.«
»Ich auch nicht«, sagte Milena. Jetzt hatte sie den Frosch im Hals. »Du kannst dir nicht vorstellen, wie blöd ich mich gefühlt hab. Und auch jetzt fühl ich mich noch blöd. Saublöd.«
»Das brauchst du nicht«, sagte ich und streichelte etwas ihr Gesicht. »Dieser ganze Schwachsinn mit der
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