Als könnt' ich fliegen
sehr hübsch. Sie grinste noch immer. Unsere Blicke trafen sich. Ich war mir sofort sicher, noch niemals in solche Augen geschaut zu haben. Sie waren groß, braun und schön. Das Lachen in ihnen wirkte ansteckend.
»Zahlen oder verschwinden!«, meckerte die Kassiererin. Ich hörte es und hörte es doch nicht. Das Mädchen streckte mir die Hand entgegen, schaute mich an. Ich hatte keine Ahnung, warum. Ich war wie hypnotisiert.
»Die zwei Cent«, sagte sie grinsend und blickte auf die Großpackung Kondome. »Du hast wohl noch einiges vor.«
Darauf fiel mir nichts ein. Stumm reichte ich das Geld weiter an die Kassiererin.
Von der Tür aus drehte ich mich noch einmal um. Das Mädchen schaute mir hinterher. Ich sah noch ihr Lächeln, dann stand ich total belämmert auf der Straße, die Maxipackung offen in der Hand. Grelles Sonnenlicht blendete mich. Björn wartete bei den Rädern.
»Du bist ja ganz blass«, sagte er.
»Da drinnen …«, stammelte ich.
Besorgt sah Björn mich an. »Was ist da drinnen? Außerirdische?«
»Ein Mädchen.«
»Whow!«, rief er. »Wahnsinn! Ein echtes Mädchen?«
Er nahm mich nicht ernst.
»Schwachkopf!«, sagte ich. »Eins steht fest: Gegen die ist Nadine hässlich.«
»Die da?« Björn deutete mit dem Kinn leicht nach links und guckte skeptisch.
»Quatsch!«, sagte ich. Ich sah nur ein Mädchen, das bei jedem Schritt mit dem linken Bein seltsam weit ausholte. Das Bein schien steif oder irgendwie verkrampft. »Doch keine Behinderte.«
In diesem Augenblick drehte sie sich um, und ich erkannte, dass es das Mädchen aus der Drogerie war. Wieder grinste sie mich an.
»Kaum einer«, sagte sie, »funktioniert so, wie die anderen es zuerst denken.«
»Äh, ich …« Ich starrte sie dämlich an. Es verschlug mir die Sprache.
Sie dagegen war um Worte nicht verlegen: »Ich hätte das bei dir auch nicht gedacht.« Sie humpelte an uns vorbei.
»Was?«, fragte ich endlich. »Was hättest du nicht gedacht?«
Sie drehte sich um. Ihr Grinsen blieb unverändert.
»Ich war sicher, dass es dir um ein Mädchen geht.« Ihre Blicke wanderten von mir zu Björn, dann zu den Kondomen und wieder zurück. »Aber macht euch nichts draus, ich bin tolerant.«
Sie verschwand um die nächste Ecke. Björn und ich standen noch eine Weile da und sagten gar nichts.
2
9. August, Freitag
600 Kilometer sind einfach zu weit weg für die einzige echte Freundin. Und Lena hat noch nicht mal einen PC . Total bescheuert! Sonst könnten wir wenigstens E-Mails schreiben. In so eine blöde SMS passt ja nichts rein.
Sven hat hier natürlich schon Leute gefunden, mit denen er abhängt. Er sagt, ich könne gern mitkommen. Tag und Nacht am PC oder nur lesen wäre nicht gut. Aber so ist es gar nicht, ich geh oft zum Meer. Sven meint, sein neuer Treffpunkt müsste mir schon deshalb gefallen. Über der Theke dort hängt ein ausgestopfter Hai. Und Haie kämen schließlich aus dem Meer. Manchmal ist er ziemlich naiv, obwohl er ein Jahr älter ist.
Ab und zu denk ich noch an diesen Typen aus der Drogerie. Den mit den Kondomen. Der war witzig. Und süß. Aber so jemanden trifft man nicht einfach so wieder.
Die Luft im Shark war zum Schneiden. Fast jeder hier hing an einer Fluppe. Es war Freitagabend kurz nach zehn, also proppenvoll. Ich rauchte natürlich nicht – ich rauche nie –, nippte aber ununterbrochen an meiner Cola. Für zehn war ich mit Nadine verabredet gewesen, aber bis jetzt keine Spur von ihr. Björn neben mir quatschte auf mich ein. Ich hörte nicht hin. Mit meinen Gedanken war ich mehr bei den drei Kondomen, die in meiner Tasche vor sich hin schwitzten. Die anderen siebenundneunzig hatte ich zu Hause hinter einem Stapel Pullover versteckt. Drei schien mir genau die richtige Anzahl: Eins konnte immer kaputt sein, die Dinger waren ziemlich dünn.
Ich schaute zum ungefähr hundertfünfzigsten Mal auf die Uhr. Gleich halb elf. Wenn sie dann nicht da war, würde sie auch nicht mehr kommen, da war ich sicher. Gar nicht sicher war ich, was mir lieber gewesen wäre. Eine Hälfte von mir wünschte sich heiß und innig, dass sie noch auftauchte, aber die andere Hälfte blieb diesem Wunsch gegenüber skeptisch.
Dann ging die Tür auf und Nadine rauschte herein. Wie fast immer mit einer Reihe älterer Typen im Schlepptau, alle so zwischen siebzehn und zwanzig. Umgehend stürmte sie auf den ausgestopften Hai zu, der, über der Theke hängend, ein ziemlich stupides Dasein führte. Mit der Nase stupste sie ihn an,
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