Als unser Kunde tot umfiel
ganz gut zu tun“, antwortete ich, obwohl das die Untertreibung des Jahrhunderts war. Ich war gerade erst zur Führungskraft befördert worden – und kurz darauf brach ein gewaltiges Umstrukturierungsprogramm wie ein Wirbelsturm über uns herein. Mit den Auswirkungen hatten wir bis zum heutigen Tag zu kämpfen und die Belastung des letzten Jahres war abartig. 65- bis 70-Stunden-Wochen waren nicht die Ausnahme, sondern zur Regel geworden. „Aber die Arbeit macht mir echt Spaß!“, ergänzte ich noch schnell und versuchte ein Lächeln auf mein Gesicht zu zaubern. „Es brechen neue Zeiten in der Kommunikation an“, fuhr sie fort. „Facebook und Twitter haben auch uns und unsere Kunden erreicht.“ Sie klang dabei etwas verstimmt, als ob sie selbst nicht so begeistert davon wäre. „Es gibt eine neue Strategie aus dem Bereich Unternehmenskommunikation, welche uns hier im Personalmanagement auch betreffen wird“, erklärte sie. „Da Sie das Thema Recruiting betreuen, wird es sich insbesondere auf Ihren Bereich beziehen.“ „Inwiefern?“, wollte ich wissen. „Nun, die Anforderung an uns ist, dass wir die neuen Medien zukünftig mit in die Personalsuche einbinden. Wir versprechen uns davon sinkende Kosten bei den Suchanzeigen und den Aufbau eines Empfehlungsmarketings für Mitarbeiter.“ „Das klingt nach einer wirklich spannenden und innovativen Idee“, sagte ich und spätestens jetzt hatte sie meine ganze Aufmerksamkeit. „Aber was bedeutet das für uns genau?“, wollte ich wissen. „Sie werden einen Facebook-Account bekommen, der gepflegt werden muss. Bekommen Sie das hin?“, wollte meine Chefin wissen. Ohne groß zu überlegen sagte ich: „Ja, sicher.“ Denn obwohl wir alle überbelastet waren, wollte und konnte ich dazu nicht Nein sagen.
Gut vier Monate später fuhr ich morgens meinen Computer im Büro hoch und unser Facebook-Account zeigte, dass wir 8.254 Follower hatten. Zusammen mit meinem Team hatte ich unseren neuen Facebook-Account mit Leben erfüllt. Die Aufgabe hatte es in sich. Wir entwarfen Strategien und Kommunikationsleitfäden, suchten Fotos und Logos aus, stellten eine Redaktion zusammen und verabschiedeten Redaktionspläne. Seitdem verging kein Tag, an dem ich nicht auf Facebook war. Morgens machte ich zuhause den Rechner an, um zu sehen, was es in der Nacht Neues gegeben hatte. Im Büro lief der Rechner immer, und wenn ich abends nach Hause kam, machte ich den Laptop wieder an.
Ein Blick in meinen Kalender sagte mir, dass ich heute zum Rapport musste, um über unsere Ergebnisse zu berichten. „Ich bin schon ganz gespannt auf Ihren Bericht“, hatte meine Chefin gesagt, als ich sie gestern in der Kantine beim Mittagessen traf.
Du bist gut vorbereitet und hast einiges vorzuweisen, sagte ich mir. Doch irgendwie machte mich das alles nicht besonders glücklich. Ich hatte Erfolge vorzuweisen, doch ich fühlte mich einfach nur leer. Mit der festen Absicht, noch diese eine Präsentation zu machen und dann den restlichen Tag freizunehmen, ging ich auf die Tür des Chefbüros zu und klopfte an. „Kommen Sie rein“, warf sie mir enthusiastisch entgegen, als ich die Tür öffnete. „Na, dann legen Sie mal los, ich bin schon sehr gespannt.“
„Nun“, sagte ich, „wir haben uns ordentlich ins Zeug gelegt und“ …
Plötzlich drehte sich der Raum, mir wurde heiß und kalt, der Schweiß lief mir den Rücken hinunter. „Herr Geschwänder?“, hörte ich meine Chefin aus der Ferne rufen. Dann wurde es dunkel.
Palluch vs. Hinrichsen – Zwischen Leistung und eigener Fürsorge
Palluch: Ok. Das ist echt krass – arbeiten bis zum Umfallen sagt man ja oft so dahin, aber dass es dann wirklich passiert ... Zum Glück eher die Ausnahme. Aber besonders in den letzten Monaten berichten mir Führungskräfte immer häufiger von Mitarbeitern, die sich komplett übernommen haben und eine Auszeit brauchen. Dass das auch für sie gelten könnte, blenden sie gerne aus.
Hinrichsen: Das ist ja auch knifflig – auf der einen Seite will ich Engagement zeigen und die Kollegen nicht hängen lassen, auf der anderen Seite habe ich aber auch Grenzen. Das kann man freilich kaum zugeben, weil dann schnell der „Nicht-belastbar-Stempel“ gezückt wird. Ich erinnere mich da noch an eine Marketingchefin, die auf einer Dienstreise von einer griechischen Insel zur nächsten ihre Auszeit damit einläutete, dass sie plötzlich ihren Aktenkoffer packte und über Bord warf. Die Geschichte ging natürlich wie ein
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