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Als würde ich fliegen

Als würde ich fliegen

Titel: Als würde ich fliegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Evans
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grenzten. Denise legte dort alle vierzehn Tage Blumen ab. Lucas ging seltener hin – er war doch so nah, da schien das müßig. Sicher hatte es eine Zeit in Carlas Leben gegeben, da wäre sie auch gerne wie die Äthiopier beerdigt worden, in einer Gemeinschaft, mit Antoney an ihrer Seite, doch nun war sie recht allein in ihrer Stätte. Für Antoney gab es in dieser Nekropole keine Inschrift. Die befand sich anderswo, an einem anderen Ort. Es hatte Lucas immer bekümmert, dass er nicht wusste, wo das Grab seines Vaters lag.
    Gewöhnlich konnte er den Friedhof ausblenden, so wie die tickende Uhr und die knarrenden Wände und den klirrenden Schrank. An diesem Tag nicht. An diesem Tag kam er ihm in den Sinn, dieser Ort für die eine und den anderen nicht, und es machte ihn verrückt. Währenddessen zog ein lauter, lebhafter Gedanke durch das Haus von Scarface, und Scarface entgegnete darauf: »He greets his father with his hands out, glad to be the man’s child.« Lucas wandte den Kopf zur Musik. In dem Moment entkam die Sonne den Wolken, das Deck strahlte auf. Er hatte den Song so oft gehört. Er kannte jedes einzelne Wort, aber so hatte er die Worte noch nie gehört. Scarface wanderte mit seiner tiefen Stimme durch das Haus, auf und ab, manchmal nahm er drei Stufen auf einmal, manchmal sprang er gleich nach unten und kam langsam wieder hinauf. Lucas begleitete ihn:
    So you standing in the tunnel of eternal light
And you see the ones you never learn to love in life
Make the choice let it go but you can back it up
    »If you ready, close your eyes, and we can set it free.« Die gelbäugige Katze ging zurück in Richtung Harlesden. Ein Vogelschatten huschte über den Bug. Lucas war von einem Augenblick vollkommener Klarheit ergriffen, all seine Fragen drängten zu einer Entscheidung. Die Sonne war warm und schob ihn voran. Seine Angst war fort. Zeit für Veränderungen. Er zögerte nicht. Es war, als hätte ihn etwas aus einer langen Starre herauskatapultiert. Und ohne Rücksicht auf Ausdünstungen, Alpträume oder Denise duckte er sich unter der Kabinentür hindurch und eilte mit fiebrigen Schritten nach innen. Er schob den weinroten Vorhang beiseite. Diesmal blieb er nicht nur stehen oder spähte furchtsam hinein. Er trat vor das alte Kirschholzding, umfasste mit heißer Hand den angelaufenen Messinggriff und zog daran, mit aller Macht.

2
    Alles begann mit Katherine. Sie kam und teilte sein Jahrhundert. Er sah sie weit unter dem Meer, mit Bändern in den Haaren. Fortan war er ein anderer.
    Es war ein windiger Märztag im Jahr 1951, und am Nachmittag nahm Antoney mit seinem Vater Mr. Rogers den Goldtooth-Bus nach Kingston. Sie fuhren ins Carib Theatre, um sich eine afrikanisch-amerikanische Tanzcompagnie anzuschauen. Mr. Rogers hatte die Karten bei einem Handel mit einem befreundeten, finanziell glücklosen Saxofonspieler erworben, und Antoney durfte sie während der Fahrt halten. Er hielt sie mit beiden Händen, mit Daumen und den ersten beiden Fingern, seine Beine schwangen mit den Bewegungen des Busses hin und her, der hinauf, hinauf und dann hinunter, hinab in die Stadt fuhr. Es war eine kurvige, bergige Straße, auf der einen Seite waldige Täler und Pimentbäume, auf der anderen der Abgrund. Manch Passagier schaute lieber hinunter in seinen Schoß als hinaus aus dem Fenster. Nicht aber Antoney.
    Er war schon einmal mit seiner Mutter Florence im Theater gewesen, bei einer Pantomime von Hans und die Bohnenranke , aber da er kein großes Interesse gezeigt hatte, war sie nie mehr mit ihm hingegangen. Inzwischen war er zu alt für die Pantomime – er war doch schon neun. Mr. Rogers sah das ebenso. Katherine Dunham (sie klang schon irgendwie kostbar) war eine weltberühmte Tänzerin, ein Broadway-Star. Sie hatte in Hollywoodfilmen mitgespielt, tourte mit ihrer eigenen Compagnie und brachte dabei zum ersten Mal afrikanische und karibische Tänze in großem Stil auf die Bühne. Zudem war sie Anthropologin, alles in allem war es die Mühe also wert. »Schön is sie auch«, sagte Mr. Rogers. Aber wichtiger noch war, dass sie aus dem Rahmen fiel, so wie Mr. Rogers selbst. Er war ein wendiger, femininer Mann mit ausgesprochen schmalen Händen, einem hübschen Gesicht, und er trug immer eine Blume am Hut. Er war mal da, dann wieder nicht, und alle, selbst Florence, nannten ihn Mr. Rogers.
    Antoney hoffte, dass sie vorne sitzen würden. Er verkündete, dass er gerne in der ersten Reihe sitzen würde, aber Mr. Rogers

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