Als würde ich fliegen
wollte sie in Wirklichkeit das andere. Sie wollte das Unbekannte, obwohl sie glaubte, sie wollte Sicherheit. Sie wollte scharfes Jerk-Huhn, obwohl sie glaubte, sie wollte ein mildes Hühnercurry. Sie wollte einen Mann mit geziertem Seitenschlendergang und Blume am Hut, einen Mann, der den ganzen Tag im Garten seines Cousins Saxofon spielte, obwohl sie dachte, dass sie einen vernünftigen Mann wollte. Und daher glaubte sie Mr. Rogers auch, wenn er ihr sagte, dass ihn sein Saxofon eines Tages reich machen würde, äußerte aber das Gegenteil. Er sei ein Träumer, sagte sie. Er sagte, dass manche Jazzmusiker richtig viel Geld verdienten, und vielleicht würde er ja eines Tages so ein Musiker. Du hast einen Sohn, entgegnete sie, du musst für deine Familie sorgen. Und er antwortete mit Amerika, mit England, mit einem besseren Leben, das fern von Annotto Bay, fern der Bucht aus Bananenblättern wartete.
Von England war Florence nicht recht überzeugt, Stony Hill aber, ja, das wäre schön.
Nach Jahren des Hinhaltens hatte sich Mr. Rogers nun endlich in Richtung Ehe bewegt. Einen Antrag hatte er, im eigentlichen Sinne, nicht gemacht. Im Grunde hatte er bloß zugestimmt. Es war in einer sternenschimmernden Nacht, er war vom Rum berauscht gewesen, und Florence hatte, in einem hübschen Unterkleid, in der Tür gestanden, die hinaus auf die Veranda führte, einen Arm nach oben an den Türrahmen gelegt, die Augen so dunkel wie noch niemals zuvor, und dann hatte sie mit ihrer Zahnlücke gelächelt und gesagt: »Mr. Rogers, du hast mir gefehlt. Warum ruhst du dich nicht aus und legst deine Füße zu meinen?« Mr. Rogers hatte in diesem Moment, unter den Rumsternen, das tröstlich schöne Gefühl gehabt, dass dieses Mädchen auf immer sein Mädchen wäre, dass er bei diesem Mädchen gehen und kommen könnte und es immer etwas sagen würde wie: Leg doch deine Füße zu meinen, und da war ihm aufgegangen, wie schön und gut ein stetiges Familienleben, welche Freude es wäre, zu einem anderen heimzukommen, was für einen wunderbaren Sohn sie beide hatten, wie süß und bereichernd es wäre, den Hügeln von St. Mary (und der halben Welt) viele kleine Antoneys zu schenken. Fünfzig Minuten später, seine Füße bei ihren und seine Hüfte noch immer an ihre gedrückt, hatte er in das rechte warme Ohr dieser seiner Frau geseufzt: »Du bist die einzig Wahre«, woraufhin Florence den nicht ganz neuen Vorschlag zurückgeflüstert hatte: »Nun, Mr. Rogers, wir könnten ja heiraten.« Und in jener Nacht hatte Mr. Rogers Ja gesagt.
In zwei Wochen nun würde Florence das gebrochen weiße Kleid anziehen. Ihr einziges Silberarmband. Sie würde sich genauso eine Blume an den Hut stecken wie ihr einzig Wahrer und dann mit ihm gemeinsam vor dem Kreuz stehen.
Das Carib Theatre war das größte Bauwerk Jamaikas. Es war eiförmig und wollte den Eindruck vermitteln, dass man am Grund der Karibischen See stand. An Wänden und Decken hausten Meeresbewohner, Seesterne und Barrakudas, fedrige Seelilien, Haarsterne und Borstenwürmer, eine gewaltige Schildkröte und ein flachäugiger Fasanbutt, selbst ein Hai war dort. Antoney fand, dies wäre ein sehr guter Ort für einen Flugtraum. Als sie sich inmitten des Trubels auf ihre Plätze setzten und auf Katherine warteten, fragte er Mr. Rogers nicht zum ersten Mal, ob er jemals einen solchen Traum gehabt habe.
»Natürlich«, sagte sein Vater, wie immer. »Mehr als ein Mal.«
Sie saßen in der vierten Reihe. Der Goldtooth-Bus hatte alle Passagiere wohlbehalten nach Kingston befördert, und auf dem Weg zum Theater hatte Mr. Rogers ständig seinen Hut gelüftet. Antoney dachte immer, sein Vater wäre berühmt. Wo er auch hinging, kannten ihn Menschen jeden Alters. Die eleganten Fräulein, die bei Woolworth arbeiteten, hatten ihm zugewunken. An diesem Tag war die Blume an Mr. Rogers’ Hut rot und in der Mitte orange. Sein Hemd war dunkelviolett und glänzte am Kragenrand. Antoney trug eine dunkelblaue Hose (seine beste, von Florence zu Tode gebügelt) und ein rotes Hemd, das, obwohl es ihm ein wenig zu klein war, sich gut an seiner flinken, reifenden Taille machte. Sie boten einen bemerkenswerten Anblick. Antoney hatte das gute Aussehen seines Vaters geerbt, den sinnlichen, entschiedenen Mund, die gemeißelten Wangen und schelmischen Augenbrauen. Und die Augen – sowohl Antoney wie auch Mr. Rogers, beide hatten sie die wachen Augen von Sperlingen.
Die Plakate draußen vor dem Theater bestätigten Antoney,
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