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Als würde ich fliegen

Als würde ich fliegen

Titel: Als würde ich fliegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Evans
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Regenwald schonendes Papier verwendet, und das sollte West auch in den Untergang treiben. Das fünfköpfige Team arbeitete um einen großen, ovalen Tisch herum und fand es normal, die Telefongespräche der anderen mitanzuhören. Für Lucas, so hatte er Finn, dem Herausgeber, bei seinem Vorstellungsgespräch im Café eine Etage tiefer erklärt, war das genau die richtige Branche, denn er konnte den ganzen Tag lang Zeitschriften lesen. Echt. »Ich steh auf die Listen«, hatte er gesagt. »Kennst du die Listen in Touch ? Die ›Reggae Ten‹, die ›Hip Hop Ten‹, die ›Drum & Bass Ten‹, ›Die meistgespielten Hits bei Trever Nelson’s Rhythm Nation‹, ›Unsere Lieblingshits, als wir an diesem Heft gearbeitet haben‹, ›Der Touch -Guide zu den wahren Spice Girls‹. Musst du mal reinschaun. Die haben dieses echt krasse Stück über Mark Morrison gebracht, von einem Darren Crosdale – sagt der dir was?« Lucas war nervös. Eine einzige Formulierung aus dem Artikel – »schuldig wegen Einerlei« – habe ihn auf die Idee gebracht, in den Journalismus zu gehen. Er habe früher auch Songtexte geschrieben, das sei aber nicht wirklich sein Ding (Jake hatte das leider bestätigen müssen, Lucas’ Vergleiche seien auf dem Niveau von Main Sources »you treat me like a burnt piece of bacon – du behandelst mich, als wär ich verbrannter Speck«), und darum habe er gedacht, vielleicht könne er ja Artikel oder Kritiken oder so schreiben. »Ich könnte eure Listen machen.« Er hatte schon eine ganze Reihe Listen. »Die ultimative Scarface-Compilation«, die »Top Ten Middle School Rapper«. Als Lucas endlich den Mund hielt, war Finn, von Hause aus Fotograf, langes Haar, dichte Augenbrauen, Sohn eines Intellektuellen, versucht zu fragen, warum sich Lucas nicht gleich bei Touch beworben hatte, fürchtete aber, dass er damit den nächsten langatmigen Monolog lostreten würde, und so sagte er bloß, Lucas solle am Dienstagnachmittag anfangen.
    Das war im Januar. Drei Monate später, und er war noch immer nicht über das Öffnen der Post und das Holen der Doughnuts gegen den nachmittäglichen Heißhunger vor Redaktionsschluss hinausgekommen. Denise wies immer wieder darauf hin, dass er zu alt für ein Praktikum sei. Zu seiner Verteidigung erinnerte er sie daran, dass Finn ihm schon erlaubt hatte, eine Liste zu machen, »Die Fünf Besten Plattenläden in West-London«. Und gelegentlich fand er sich auch auf wichtigen »Missionen«, ein weiterer Hinweis darauf, dass er als verdienter Praktikant galt, als künftiger Lohnempfänger. Finn schickte ihn manchmal ins Subterranea, einen kleinen Club in der Nähe, um einen Gig zu besprechen (in der Regel die, für die sich niemand sonst begeisterte). Lucas gefiel sich darin, »geschickt« zu werden. Manchmal nahm er Jake mit, zeigte stolz seine »Gilt für zwei«-Karte vor, stand während des Auftritts vollkommen reglos seitlich vorne an der Bühne, beobachtete die Musiker mit nüchterner Miene und kritzelte in sein Heft. Er brauchte außerordentlich lange für seine Besprechungen. Die Worte kamen nie so heraus, wie er sich das vorstellte. Er konnte auch nur mit der Hand schreiben, auf seinem Bodenkissen, ein wenig bekifft, sonst kam das Gefühl gar nicht. Zwei oder drei Wochen später erhielt Finn dann ein liniertes, zweifach gefaltetes DIN -A4-Blatt mit mühsam erdachten, esoterischen, detailverliebten, aber dennoch vagen zweihundert Worten über einen Gig, an den er sich schon nicht mehr erinnern konnte. Die Zettel waren unten in grüner Tinte mit Lucas Matheus unterschrieben. Ein einziger hatte den Weg ins Heft gefunden. Der Ausschnitt hing an der Wand der Kabine, auf Lucas’ Seite.
    Vor zwei Tagen hatte West Lucas nach St. Albans »geschickt«, zu Edwin Starr. Die kommerzielle Musikszene strafte Finn mit Missachtung (er verachtete Robbie Williams von ganzem Herzen), er widmete sein Heft lieber dem charismatisch Obskuren, Nostalgischen, dem »Handgemachten«. Hätte er sich für Lucas bei seinem Vorstellungsgespräch etwas mehr Zeit genommen, hätte er der Begeisterung seines Bewerbers für Hitlisten seine eigene Leidenschaft für Rubriken im Stile von »Was macht eigentlich …?« entgegensetzen können. Motown war eine machtvolle Szene gewesen – mit Berry Gordy und seiner Energie, den Supremes, Martha and the Vandellas mit ihrem zündenden Groove, mit der Geburt von Marvin Gaye. Edwin Starr hatte sich damals mit seinem Anti-Vietnam-Hit »War« einen Platz in der Geschichte

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