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Also sprach GOLEM

Also sprach GOLEM

Titel: Also sprach GOLEM Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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muß, doch vermag ich weder seine Auswüchse abzuzählen noch gar ihrem Verlauf zu folgen, denn ich lasse mich von einer Gruppe von Folgeberechnungen leiten, bei denen es um die Hindernisse und Engpässe geht, die der Prozeß insgesamt überwinden muß, und so lassen sich lediglich allgemeine Gesetzmäßigkeiten feststellen; hättet ihr beispielsweise die Geschichte des Lebens auf der Erde in allen Einzelheiten erkundet und würdet ihr aus euren Erkenntnissen Schlußfolgerungen im Hinblick auf andere Planeten, auf andere Biosphären ziehen, so würde euch selbst eine hervorragende Kenntnis ihrer physikalischen Grundlagen nicht gestatten, die fremden Lebensformen exakt zu rekonstruieren, aber euren Erkenntnissen über die kritische Verzweigung des Lebens wird sie eine an Gewißheit grenzende Wahrscheinlichkeit verleihen. Innerhalb der Biosphäre wird es dabei um die Scheidung in Autotrophe und Heterotrophe gehen, die Verzweigung in Pflanzen und Tiere, und außerdem werdet ihr die Stärke des Selektionsdruckes berechnen, der nach der Ausfüllung der Nischen im Wasser und zu Lande die artbildenden Mutanten in die dritte Dimension, die Atmosphäre, abdrängt. Auf die Toposophie übertragen, ist die Aufgabe um vieles schwieriger, doch will ich euch nicht damit ermüden, daß ich euch solche Dilemmata beichte, sondern lediglich erklären, daß der fundamentalen Einteilung des Lebens in Pflanzen und Tiere innerhalb der toposophischen Evolution die Einteilung in lokale und nichtlokale Formen der Vernunft entspricht. Über die ersteren werde ich euch glücklicherweise ein wenig kundtun können– glücklicherweise, denn gerade dieser Zweig nimmt den steilsten Weg durch die weiteren Wachstumszonen. Die nichtlokalen Formen dagegen, die wegen ihres Umfangs als Leviathan bezeichnet zu werden verdienen, sind gerade wegen dieser ungeheuren Größe unfaßbar. Eine Form von Vernunft sind sie lediglich in dem Sinne, in dem die Biosphäre Leben ist; es kann sehr gut sein, daß ihr sie seit Jahren erblickt, daß ihr ihre Abbilder en face und im Profil in euren Sternatlanten verewigt habt, aber ihre vernünftige Natur nicht erkennt, was ich an einem primitiven Beispiel veranschaulichen will. Wenn wir unter der Vernunft das intelligente Pendant des Gehirns verstehen, so werden wir als nebulares Gehirn nicht eine Nebelwolke bezeichnen, die im Laufe von Jahrmillionen durch absichtliche Einwirkungen eines n-zonalen Wesens in ihrer Feinstruktur umorganisiert wurde, denn ein System, das sich über Tausende von Lichtjahren erstreckt, kann kein effektiv denkendes System sein: Ein Nachrichtenimpuls würde ja, um es zu durchlaufen, Jahrhunderte auf Jahrhunderte benötigen. Dieses nebelhafte Objekt könnte sich jedoch in einem gewissermaßen unfertigen oder halbwegs natürlichen Zustand befinden, den das besagte Wesen für irgend etwas benötigt, für das es weder in eurer noch in meiner Begriffswelt eine Entsprechung gibt. Ich muß lachen, wenn ich sehe, wie ihr auf diese Worte reagiert: Nichts wünscht ihr euch so sehr, wie in Erfahrung zu bringen, was ihr nicht erfahren könnt! Wieso aber sollte ich euch – und vielleicht auch mich selbst – täuschen, indem ich Märchen erzähle von einem filamentösen Nebel, der gestimmt ist auf den gravitationalen Kammerton, mit dem ein Dirigent, ein Doctor Caelestis, der gesamten Metagalaxie den Ton angeben will? Vielleicht möchte er aber auch ein Stück Welt, zu dem er geworden ist, nicht zueinem Instrument der Sphärenharmonie machen, sondern zu einer Presse, um aus der Materie bestimmte, ihr bisher noch nicht abgenötigte Geständnisse herauszupressen? Wir werden nicht hinter seine Absichten kommen. Es gibt Nebel – besonders unter den filamentösen –, die auf dem Foto eine gewisse Ähnlichkeit mit trillionenfach vergrößerten Gewebsbildern der Hirnrinde zeigen, doch besagt diese Ähnlichkeit nichts, und es kann durchaus sein, daß diese Nebel psychisch vollkommen tot sind. Ein irdischer Beobachter kann in dem Nebel Maser- und Synchrotronstrahlen feststellen, aber das bringt ihn auch nicht weiter. Besteht etwa irgend eine Ähnlichkeit zwischen den Zerebrociden und Glycerophosphaten auf der einen und dem Inhalt eurer Gedanken auf der anderen Seite? Eine solche Ähnlichkeit gibt es ebensowenig wie zwischen der Strahlung der Nebel und dem, was sie denken, falls sie denken. Die Vorstellung, man könne Anzeichen einer Vernunft im Kosmos an ihrem physikalischen Bild erkennen, ist eine kindische idée

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