Also sprach Zarathustra
machtet schon ein Leier-Lied daraus? Nun aber liege ich da, müde noch von diesem Beissen und Wegspein, krank noch von der eigenen Erlösung.
Und ihr schautet dem Allen zu? Oh meine Thiere, seid auch ihr grausam?
Habt ihr meinem grossen Schmerze zuschaun wollen, wie Menschen thun?
Der Mensch nämlich ist das grausamste Thier.
Bei Trauerspielen, Stierkämpfen und Kreuzigungen ist es ihm bisher am wohlsten geworden auf Erden; und als er sich die Hölle erfand, siehe, da war das sein Himmel auf Erden.
Wenn der grosse Mensch schreit -: flugs läuft der kleine hinzu; und die Zunge hängt ihm aus dem Halse vor Lüsternheit. Er aber heisst es sein "Mitleiden."
Der kleine Mensch, sonderlich der Dichter - wie eifrig klagt er das Leben in Worten an! Hört hin, aber überhört mir die Lust nicht, die in allem Anklagen ist!
Solche Ankläger des Lebens: die überwindet das Leben mit einem Augenblinzeln. "Du liebst mich? sagt die Freche; warte noch ein Wenig, noch habe ich für dich nicht Zeit."
Der Mensch ist gegen sich selber das grausamste Thier; und bei Allem, was sich "Sünder" und "Kreuzträger" und "Büsser" heisst, überhört mir die Wollust nicht, die in diesem Klagen und Anklagen ist!
Und ich selber - will ich damit des Menschen Ankläger sein? Ach, meine Thiere, Das allein lernte ich bisher, dass dem Menschen sein Bösestes nöthig ist zu seinem Besten, -
- dass alles Böseste seine beste Kraft ist und der härteste Stein dem höchsten Schaffenden; und dass der Mensch besser und böser werden muss: -
Nicht an diess Marterholz war ich geheftet, dass ich weiss: der Mensch ist böse, - sondern ich schrie, wie noch Niemand geschrien hat:
"Ach dass sein Bösestes so gar klein ist! Ach dass sein Bestes so gar klein ist!"
Der grosse Überdruss am Menschen - der würgte mich und war mir in den Schlund gekrochen: und was der Wahrsager wahrsagte: "Alles ist gleich, es lohnt sich Nichts, Wissen würgt."
Eine lange Dämmerung hinkte vor mir her, eine todesmüde, todestrunkene Traurigkeit, welche mit gähnendem Munde redete.
"Ewig kehrt er wieder, der Mensch, dess du müde bist, der kleine Mensch" - so gähnte meine Traurigkeit und schleppte den Fuss und konnte nicht einschlafen.
Zur Höhle wandelte sich mir die Menschen-Erde, ihre Brust sank hinein, alles Lebendige ward mir Menschen-Moder und Knochen und morsche Vergangenheit.
Mein Seufzen sass auf allen Menschen-Gräbern und konnte nicht mehr aufstehn; mein Seufzen und Fragen unkte und würgte und nagte und klagte bei Tag und Nacht:
- "ach, der Mensch kehrt ewig wieder! Der kleine Mensch kehrt ewig wieder!" -
Nackt hatte ich einst Beide gesehn, den grössten Menschen und den kleinsten Menschen: allzuähnlich einander, - allzumenschlich auch den Grössten noch!
Allzuklein der Grösste! - Das war mein Überdruss am Menschen! Und ewige Wiederkunft auch des Kleinsten! - Das war mein Überdruss an allem Dasein!
Ach, Ekel! Ekel! Ekel! - - Also sprach Zarathustra und seufzte und schauderte; denn er erinnerte sich seiner Krankheit. Da liessen ihn aber seine Thiere nicht weiter reden.
"Sprich nicht weiter, du Genesender! - so antworteten ihm seine
Thiere, sondern geh hinaus, wo die Welt auf dich wartet gleich einem
Garten.
Geh hinaus zu den Rosen und Bienen und Taubenschwärmen! Sonderlich aber zu den Singe-Vögeln: dass du ihnen das Singen ablernst!
Singen nämlich ist für Genesende; der Gesunde mag reden. Und wenn auch der Gesunde Lieder will, will er andre Lieder doch als der Genesende."
- "Oh ihr Schalks-Narren und Drehorgeln, so schweigt doch! - antwortete Zarathustra und lächelte über seine Thiere. Wie gut ihr wisst, welchen Trost ich mir selber in sieben Tagen erfand!
Dass ich wieder singen müsse, - den Trost erfand ich mir und diese Genesung: wollt ihr auch daraus gleich wieder ein Leier-Lied machen?"
- "Sprich nicht weiter, antworteten ihm abermals seine Thiere; lieber noch, du Genesender, mache dir erst eine Leier zurecht, eine neue Leier!
Denn siehe doch, oh Zarathustra! Zu deinen neuen Liedern bedarf es neuer Leiern.
Singe und brause über, oh Zarathustra, heile mit neuen Liedern deine
Seele: dass du dein grosses Schicksal tragest, das noch keines
Menschen Schicksal war!
Denn deine Thiere wissen es wohl, oh Zarathustra, wer du bist und werden musst: siehe, du bist der Lehrer der ewigen Wiederkunft -, das ist nun dein Schicksal!
Dass du als der Erste diese Lehre lehren musst, - wie sollte diess grosse Schicksal nicht auch deine grösste Gefahr
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