Alte König in seinem Exil - Alte König in seinem Exil
Leben?
Das muss ich bejahen. Er hat sehr wenig wichtige Gedanken gehabt. Er hat sich zu wenig verkopft.
Und deine Mutter?
Meine Mutter! Von ihr habe ich Bescheidenheit gelernt. Sie ist eine bescheidene Person gewesen, hilfsbereit und freundlich. Jeder hat sie gerne gemocht.
Kinder, die den Namen August tragen, sind selten geworden. Meinem Vater jedoch hat der Name während achteinhalb Jahrzehnten gute Dienste geleistet, nur von den Schulkollegen verkürzt zu Gustl , ansonsten ein Leben lang in voller Länge, bei den Eltern, den Geschwistern, der Frau, den Arbeitskollegen: August.
Geboren wurde er am 4. Juli 1926 als drittes von zehn Kindern. Seine Eltern waren Kleinbauern in Wolfurt, einer Vorarlberger Rheintalgemeinde, in der es aufgrund des Erbrechts keine Großbauern gibt. Die Eltern meines Vaters besaßen drei Kühe, einen Obstgarten, einen Acker, eine Streuwiese, ein Stück Wald, ein Schnapsbrennrecht für dreihundert Liter und ein Bienenhaus. Davon hätte eine Familie mit so vielen Kindern nicht leben können. Adolf Geiger, der Dätt , verdiente als Angestellter in der noch jungen Stromindustrie dazu. Mit dem Fahrrad fuhr er durch die Dörfer des unteren Rheintals und las in den Häusern die Stromzähler ab.
Wenn sich der Dätt an einem verlorenen Hufnagel einen Platten fuhr, stellte er das Fahrrad vor das Haus, damit eines der Kinder, meistens August, den Platten flickte. Ich selber habe mein kaputtes Fahrrad ebenfalls einfach vors Haus gestellt, damit der Vater es flickte. Und wie der Vater seinen Eltern gehorchen musste, wurde später von ihm erwartet, dass er seinen Kindern gehorchte. Seine Kinderwaren in eine andere Welt hineingeboren worden und glaubten zu wissen, wo es langgeht und wie man es richtig macht.
Der Dätt soll ein guter Rechner gewesen sein, ansonsten ein durchschnittlich begabter und nicht sehr robuster Mann. Er habe lieber kommandiert als gearbeitet, weil alle in der Familie geschickter und bald auch kräftiger gewesen seien als er und er sich vor seiner Frau und den Kindern nicht blamieren wollte. Aus demselben Grund habe der Dätt nie erklärt, wie etwas gemacht werden solle, sondern nur befohlen, dass es zu geschehen habe. So habe er vermieden, dass ihm jemand sagt, wie man es besser machen könnte.
Das ganze Gebaren des Dätt war autoritär, es kam ihm leicht die Hand aus. Trotzdem habe sich das vermeidungstaktische Manövrieren der Kinder in Grenzen gehalten. Wenn der Unsinn, den der Dätt geredet habe, nicht zum Aushalten gewesen sei, habe man ihm widersprochen (sagen Mile und Paul).
Die älteren Kinder empfanden den Dätt als störendes Element und mieden ihn. Zur sonntäglichen Messe gingen sie drei Minuten vor oder drei Minuten nach ihm, aber nie mit ihm. Vom Rand der Familie aus bemühte er sich daraufhin um ein besseres Verhältnis zu den jüngeren Kindern. Mit ihnen sei er vernünftig umgegangen, habe mit ihnen Fuchs und Henne gespielt und sie zu langen Spaziergängen mitgenommen, da war er schon älter. Doch die Echos seiner Ohrfeigen hallen auch in ihren Erzählungen nach.
Einmal ließ sich der Dätt vom vierzehnjährigen Emil huckepack über die Schwarzach tragen. Das war 1937. Es sei ihm zu mühsam gewesen, sich die Schuhe auszuziehen.
Er habe viel gelesen. Doch wie das Verteilen von Ohrfeigen war auch das Lesen kein Verhalten, das sich auf die Kinder übertragen hat. Ansteckender waren die Eigenheiten der Mutter.
Die Mam sei klüger gewesen als der Dätt. Das sagte mein Vater, als ihn an solche Dinge noch Erinnerungsfäden banden: warmherzig, freundlich, eine schmale, sehr kräftige Frau mit einem klar konturierten Bizeps. Ihr Vater war Schmied in Wolfurt. In ihrer Jugend, bevor sie in eine Stickerei ging, arbeitete sie als Gehilfin in der Schmiede, weil sie keine Brüder hatte und weil ihr Vater gemerkt habe, dass mit dem klugen Mädchen etwas anzufangen war.
Die Schmiede steht oben am Waldrand hinter dem Schloss, mit einem großen Wasserrad. Vor und während des Ersten Weltkriegs legte der Lastwagen aus Dornbirn das bestellte Material am Fuß der Schlossgasse ab, und nach der Schule trugen die fünf Töchter des Schmieds die langen Eisenstangen die steile Straße hoch.
Die Mam war eine stille, jede Art von Aufsehen verabscheuende Frau, die das Leben als Vorbereitung auf den Himmel verstand. Ihre Kinder reden nur mit Hochachtung von ihr, das ist vermutlich der Hauptgrund, weshalb sie wenig über sie zu erzählen wissen. Sie habe sich oft wie
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