Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Alte König in seinem Exil - Alte König in seinem Exil

Titel: Alte König in seinem Exil - Alte König in seinem Exil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren:
Vom Netzwerk:
Kopfschütteln erinnere ich mich an die Renovierung der Terrassenwohnung, als der Vater die Betondeckel der ehemaligen Klärkammern zerschlug, weil er die Deckel alleine nicht hochheben und zurück in die Öffnung legen konnte. Das war nicht die erste Situation, in der ich den Eindruck hatte, er mache mir das Leben mutwillig schwer. Wir schrien einander an. Während der weiteren Arbeiten verließ ich das Haus regelmäßig in der Angst, dass mich beim Nachhausekommen die nächste böse Überraschung erwarten werde.
    Dann der Besuch eines Redakteurs vom Schweizer Radio. Auch dies ein Tag, der sich ins Gedächtnis eingeprägt hat. Das war im Herbst 1997, kurz nach Erscheinen meines ersten Romans. Ich sollte ein Kapitel des Buches auf Band lesen und bat den Vater, am Nachmittag keinen Lärm zu machen. Kaum hatte die Aufnahme begonnen, setzte in der Werkstatt ein beständiges Hämmern ein, das andauerte, solange das Mikrophon des Redakteurs offen war. Noch während ich las, empfand ich einen tiefen Zorn auf den Vater, ja geradezu Hass wegen seiner Rücksichtslosigkeit. In den Tagen darauf ging ich ihm aus dem Weg, ich redete tagelang kein Wort mit ihm. Die Parole lautete: Sabotage .
    Und wann hat Peter geheiratet, mein älterer Bruder? Das war 1993. Bei der Hochzeitsfeier verdarb sich der Vater den Magen, weil ihm das Maß abhandengekommen war und er nach dem mehrgängigen Essen zehn oder fünfzehn Tortenstücke verschlang. Spätnachts schleppte er sich nach Hause und lag dort zwei Tage mit heftigen Schmerzen im Bett. Er hatte Angst zu sterben, tat aber niemandem leid, denn wir dachten, es geschehe ihm recht. Niemand sah, dass er langsam seine alltagspraktischen Fähigkeiten verlor.
    Die Krankheit zog ihr Netz über ihn, bedächtig, unauffällig. Der Vater war schon tief darin verstrickt, ohne dass wir es merkten.
    Während wir Kinder die Zeichen missdeuteten, muss das Gefühl, mit dem er selber die Veränderungen an sich wahrnahm, qualvoll gewesen sein, die bohrende Angst,dass etwas Feindliches sich seiner bemächtigte, gegen das er sich nicht wehren konnte. Dazu geäußert hat er sich nie, das verhinderte seine Verschlossenheit, seine Unfähigkeit, Gefühle mitzuteilen. Das lag nicht in seinem Charakter, er hatte es nie getan, und jetzt war es zu spät, damit anzufangen. Zu allem Unglück hatte er diese Unfähigkeit an seine Kinder weitergegeben, weshalb auch von dort kein nennenswerter Vorstoß kam. Niemand fasste sich ein Herz. Wir ließen den Dingen ihren Lauf. Ja, gut, der Vater hatte merkwürdige Momente. Aber hatte er die nicht immer schon gehabt? – Sein Verhalten war eigentlich normal.
     
    Tatsächlich schien alles Merkwürdige zunächst nur ein nachvollziehbares Resultat bestimmter Charaktereigenschaften in Konfrontation mit einer neuen Situation zu sein. Der Vater wurde älter, aber vor allem hatte ihn seine Frau nach dreißig Jahren Ehe verlassen. Die Vermutung, dass es ihm deshalb an Antrieb fehlte, lag nahe.
    Die Trennung hatte ihm schwer zu schaffen gemacht, er war strikt gegen eine Scheidung gewesen, einerseits weil er mit meiner Mutter zusammenbleiben wollte, andererseits weil es für ihn Dinge gab, die streng bindend sind. Er hatte nur unzureichend mitbekommen, dass sich die Belastbarkeit gewisser Konventionen abgenutzt hatte. Sehr im Gegensatz zu den heute flexiblen Lebensentwürfen hielt er an einer vor Jahrzehnten getroffenen Entscheidung fest und wollte ein gegebenes Gelübde nicht brechen. Auch hierin gehörte er einer anderen Generation anals seine um fünfzehn Jahre jüngere Frau. Für sie stand nicht der Ruf oder ein Versprechen auf dem Spiel, sondern ein Leben mit der Möglichkeit, anderswo glücklich zu werden. Während die Mutter das Haus verließ, harrte der Vater innerlich bei der toten Beziehung aus, treu der verlorenen Sache.
    Das Weggehen der Mutter leitete beim Vater eine Zeit des Brütens und der Tatenlosigkeit ein. Es war, als sei die letzte Feder in ihm gesprungen. Sogar die Gartenarbeit gab er auf, obwohl er wusste, dass seine Kinder beruflich sehr eingespannt waren und unter der zusätzlichen Belastung stöhnten. Der Vater entband sich selbst von praktisch allem, keine Spur mehr vom früheren Eifer, mit dem er jahrzehntelang seine Vorhaben vorangetrieben hatte. Lapidar verkündete er, dass jetzt die Jungen an der Reihe seien, er selber habe in seinem Leben genug gearbeitet.
    Diese Ausreden ärgerten uns, und Ausreden waren es, wenn auch für etwas anderes als für das, was wir

Weitere Kostenlose Bücher