Alte Narben - [Kriminalroman aus der Eifel]
Gärtner danach? Zieht er einen Zaun um den umgepflügten Garten und sagt, bitte sehr, jetzt kommen keine Panzer mehr, alle Blumen sind herzlich eingeladen, erneut zu wachsen, und dann wartet er, bis die Blumenbeete wieder in alter Schönheit erblühen? Nein, der gute Gärtner weiß genau, dass dann bestenfalls Gras über die ganze Sache wächst. Er macht etwas anderes: Er legt die Beete wieder an und pflanzt die Blumen neu. Das haben wir nicht getan. Wir haben es immer als die vorrangige Aufgabe unserer Generation betrachtet, gegen das Vergessen zu kämpfen, damit das Vergangene sich in der Zukunft nicht wiederholen kann. Aber eine Aufgabe haben wir sträflich den nachfolgenden Generationen überlassen: Die Spätgeborenen müssen dafür sorgen, dass Deutschland wieder ein Land wird, in dem blühende jüdische Gemeinden gedeihen wollen und können wie vor der Nazizeit.« Lorenz atmete noch einmal tief durch.
Bärbel meinte: »Manche Beete kann man aber vielleicht nicht neu erstehen lassen. Es gibt leider nicht mehr viele Juden, die dieses Land als ihre Heimat betrachten. Das können wir nicht ungeschehen machen. Vielleicht aber haben wir zukünftig tatsächlich einmal so viele Einwanderer, wie immer behauptet wird, und vielleicht sind dann auch Menschen jüdischen Glaubens darunter.«
»Ja, vielleicht«, murmelte Lorenz.
Benny baute sich vor den Freunden auf. »So, ihr Lieben. Jetzt blast mal keine Trübsal. Jetzt seid ihr dran!«
Bärbel schüttelte den Kopf. »Aber das kann doch nicht dein Ernst sein. Du willst uns doch nicht wirklich klettern lassen?«
Benny lachte. »Ach, kommt schon. Ihr sollt ja auch nicht wirklich klettern. Wir wollen uns nur abseilen. Dazu braucht man keine Kraft, nur etwas Mut und Abenteuerlust. Es ist auch ganz ungefährlich, ich zeig euch genau, wie es geht.«
Lorenz grinste. »Warum eigentlich nicht? Wer Rumba tanzen kann, kann auch klettern. Bärbel, mach mal den Anfang. Wenn du dich traust, dann mach ich das auch!«
Bärbel trat zu Benny und ließ sich von ihm in den Klettergurt helfen. »Ich bin verrückt, dass ich das auf meine alten Tage noch mitmache!«, lachte sie. »Und es ist wirklich nicht anstrengend? Das sieht alles so – huh – aus.«
Benny grinste. »Das ist nicht huh, das ist klasse. Pass auf, ich mach das Seil hier fest und werfe es im Doppelstrang runter. Hier steckst du es durch den Abseilachter und machst den an deinem Gurt fest – siehste, schon fertig. Wenn du unterhalb des Achters das Seil festhältst, bleibst du stehen. Lässt du das Seil durch die Hand rutschen, geht’s abwärts. Ganz einfach. Und damit gar nichts passieren kann, binde ich dir noch eine zusätzliche Seilbremse ein. Wenn du die Hände ganz wegnimmst, stoppt sie dich automatisch. Pass auf, ich mache neben dir genau dasselbe.«
Die beiden traten zur Kante des Felskopfes. Bärbel sah hinunter. »Mir wird ganz anders. Lorenz, das ist so aufregend!«
Lorenz sah Bärbel und Benny zu, wie sie ihr Gewicht in das gespannte Seil legten und dann tatsächlich nach unten verschwanden. »Na, ob das mal gut geht?«
Dann hörte er Bärbels helles Lachen. Es schallte zu Lorenz herauf, hüpfte fröhlich zwischen den Felsen umher und bedeutete ihm, dass es niemals zu spät war, etwas zu beginnen, was man schon lange hätte tun sollen. Er sah Gustav an, und sie stimmten beide in Bärbels Lachen ein. Die Alten lachten laut und ausgelassen, und sie empfanden dabei jenes Glück, wenn man spürt, dass es im Leben noch für nichts zu spät ist.
»Verborgen ruht in mir Gewalt,
oft wallt es auf und wird Gestalt.
Du kleiner Ort am kleinen Hügel,
so weit entfernt – ach hätt’ ich Flügel.
Die Hoffnung bleibt, die Jahre schwinden.
Wann werd’ ich noch mal Ruhe finden?«
Emil Kamp, »Heimweh«, verfasst in der Zeit von 1940 – 1945, in:
»Man nannte mich auch Emilio«, Erkelenz 1998, Altius Verlag
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