Altenberger Requiem
Schloss sah wie eine Märchenburg aus - mit wuchtigen grauen Mauern, einem stolz aufragenden Bergfried und dunklen Schieferdächern, die in der Sonne matt glänzten. Auf einem davon wehte eine Fahne.
Plötzlich fuhr Wonne rechts ran. Krachend ließ sie die Handbremse einrasten.
»Was sollen wir hier eigentlich machen?«, fragte sie.
Ich hatte die Karte auf dem Schoß, und sie beugte sich zu mir, sodass mich ihr Duft umwehte. Ein fruchtiges Duschgel oder Parfüm.
»Du hast eine Sache übersehen«, erklärte sie. »Man kann sich die Reihenfolge der Ziele selbst aussuchen. Hauptsache, man hat abends alle Fragen geschafft. Auf dem Partygelände kümmert sich das Einsatzteam dann um die Auswertung. So steht es hier.« Sie hob den Kopf. »Was für ein Einsatzteam?«
»Keine Ahnung«, log ich. Und es musste ein Zeichen gewesen sein. Oder so was wie Telepathie. Jedenfalls meldete sich im selben Augenblick meine neue Handymelodie, und auf dem Display blinkte der Name des Anrufers: Jutta.
»Du magst Verdi?«, fragte Wonne.
Jutta störte. Ich schaltete das Handy einfach aus. Gleichzeitig kombinierte ich messerscharf, dass die Melodie auf meinem Handy von Verdi war und dass ich damit bei Wonne punkten konnte.
»Klar«, sagte ich, als hätte sie mich gefragt, ob ich einen festen Wohnsitz besaß. »Jeder muss Verdi lieben.«
»Und welche Oper gefällt dir am besten?«
»Och …« Ich grübelte fieberhaft, ob ich schon mal den Namen einer Verdi-Oper gehört hatte. Wenn ja, gab es die Chance, dass er mir jetzt einfiel. Angeblich vergaß man ja nichts. Man verschluderte es nur.
Plötzlich kam mir eine geniale Idee.
»Es gibt ja außer den Opern noch andere Sachen …«
Das Prinzip war einfach: Es gab immer noch andere Dinge als die, die jeder kannte. Und wenn man sie zur Sprache brachte, hatte man bei Experten gewonnen. "Wenn man ganz großes Glück hatte, redeten sie gleich weiter und benannten das, was man nur angerissen hatte. Wenn man also gefragt wurde, welchen Film von XY man am besten fand, dann sagte man einfach: Ich schätze ihn nicht so sehr als Schauspieler, sondern für das, was er sonst so macht. Fragt das Gegenüber, was das wäre, sagt man: sein soziales Engagement.
Wonne stieg tatsächlich gleich darauf ein.
»Du hast recht. Mensch, Remi, du kennst dich ja aus. Das Größte ist seine Kirchenmusik! Das ›Requiem‹. Die Totenmesse. Vorhin habe ich’s noch gehört.«
Sie drehte den Schlüssel, ließ den Motor an und drückte einen Knopf am Radio.
Sofort fetzte die klassische Musik wieder los, mit der sie an Juttas Festplatz vorgefahren war.
Ein Chor brüllte irgendwas. Trompeten schmetterten, Pauken donnerten.
»Dies Irae«, schrie Wonne versonnen. »Der Tag des Zorns. Das Jüngste Gericht. Wahnsinn, oder?«
Ein Rennradfahrerpärchen in schwarz-gelbem Profi-Outfit sah sich erschrocken zu uns um.
Ich nickte, wartete ein paar Sekunden, in denen Wonne auf die Radioarmatur blickte, als käme das Heil der Welt von dort. Ich deutete auf die Mappe.
Sie drehte leiser, blätterte die Unterlagen durch und sah mich dann mit einem seltsamen Blick an.
»Hast du Hunger?«, fragte sie.
»Ehrlich gesagt, ja.«
Bei diesem Stichwort fiel mir etwas ein. Wir waren zu früh losgefahren. Jutta wollte noch einen Imbiss reichen. Die anderen saßen jetzt bei Suppe, Salat und Baguette in den Korbstühlen auf der Wiese … Und wir waren einfach abgehauen.
»Schau mal, was hier steht. Solingen. Schloss Burg. Die Frage lautet: ›Etwas, das es in der Nähe der Burg gibt, ist mindestens fünfmal gewickelt. Was ist das?‹«
»Schief gewickelt oder gerade?«, fragte ich - zugegebenermaßen etwas dümmlich.
Wonne nahm die Mappe, beugte sich über meine Knie hinweg, sodass ihr blondes Haar nur Millimeter von meinem Gesicht entfernt war, und kramte im Handschuhfach nach einem Kuli.
Dann schrieb sie mit großen Buchstaben etwas neben die Frage.
»Burger Brezel?«, fragte ich. »Ist das was von McDonald’s?«
»Du darfst das ›Burger‹ nicht wie in ›Cheeseburger‹ aussprechen. U wie u. Dann stimmt es. Es ist eine Brezel aus Burg. Kapiert?«
»Kapiert.«
»Komm, wir kaufen eine.« Sie gab Gas und drehte den Tag des Zorns lauter, allerdings nur ein paar Sekunden lang, denn dann waren wir offenbar schon am Ziel.
Sie hielt an einem kleinen Platz. Vor uns zogen sich die Häuser des Ortes entlang. Alles war knallig aufgepeppt von leuchtend roten Geranien, die tausendfach neben dem Flusslauf in ihren Kästen standen. Von
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