Altenberger Requiem
bekommen.
Herzlich
Ihr Sandro Marino
Dieser Brief war sechs Jahre jünger: Er stammte vom Juli 1981.
Es war nicht schwer, sich einen Reim auf die Geschichte zu machen. Was meinen Fall betraf, war ich damit allerdings auf dem Holzweg. Super, dachte ich. Riesenleistung.
Es blieb nur noch die Telefonnummer auf dem Zettel.
Bringen wir’s zu Ende, dachte ich und rief sie einfach an. Die ersten Zahlen, die die Vorwahl darstellten, deuteten auf das Oberbergische hin.
Nach dem dritten Klingeln meldete sich jemand.
»Hollrich.«
Ich konnte nicht unterscheiden, ob es sich um einen Mann oder eine Frau handelte.
»Ja, guten Tag, Rott hier.« Ich machte eine kleine Pause und legte mir schnell eine Strategie zurecht. Die abweisende Stimme brachte mich darauf, die Story mit dem Erbfahnder herauszuholen.
»Ich arbeite für die Rechtsanwaltskanzlei Rath in Leverkusen«, sagte ich. »Wir sind in einer Erbschaftsangelegenheit auf der Suche nach Verwandten einer gewissen Klara Hackenberg.«
»Kenn ich nicht.«
»Ihre Telefonnummer war bei ihren Unterlagen. Es sieht so aus, als hätte sie Kontakt zu Ihnen gehabt.«
»Wie hieß die?«
»Hackenberg.«
»Sagt mir nichts.«
»Sind Sie ganz sicher?«
»Klar. Hackenberg sagt mir nichts. Aber gibt’s nicht einen im Fernsehen, der so heißt?«
Ich überlegte. Mein Gesprächspartner am anderen Ende der Leitung hatte recht. Das war der Mann mit dem Quiztaxi.
»Fragen Sie den doch mal«, setzte die Stimme nach.
»Und es gibt auch in Ihrem Haushalt niemanden, der Frau Hackenberg gekannt haben könnte?«
»Ich wohne alleine hier.«
»Kennen Sie eine Gabriele? Oder einen Sandro Marino?«
»Nein.«
»Darf ich mir zur Sicherheit Ihren Namen notieren? Falls wir eine Rückfrage haben.«
»Von mir aus. Tschö.«
Es krachte, die Leitung tutete, und ich versuchte mich zu erinnern, wie der Name gewesen war. Dann fiel er mir wieder ein. Hollrich.
Ich behielt das Telefon gleich in der Hand und wählte.
»Rechtsanwaltskanzlei Dr. Rath - was kann ich für Sie tun?«
Es war eine junge Stimme, die die Begrüßungsformel runterleierte. Wahrscheinlich gehörte sie der Frau, die uns Kaffee gemacht hätte, wenn sie bei unserem Besuch gestern Morgen da gewesen wäre.
»Rott hier. Ist Frau Rath da?«
»Frau Dr. Rath ist in einer Besprechung. Worum geht es denn?«
Okay, das Mädchen kannte mich noch nicht.
»Das weiß sie dann schon. Sie erwartet meinen Anruf.«
Ich musste ziemlich eindringlich geklungen haben, denn plötzlich klimperte irgendwas in der Art von Vivaldis »Frühling«, und eine Stimme vom Band sagte mehrmals hintereinander: »Warten Sie bitte.«
Dann war das Mädchen wieder dran: »Frau Dr. Rath ruft Sie zurück.«
»Aber bitte bald«, sagte ich. »Ich bin gleich wieder unterwegs. Frau Rath hat auch meine Handynummer.«
Ich legte auf und nutzte die Zeit: Ich fuhr Mannis gewaltige Rechenmaschine, die mit dem Begriff »PC« nur unzureichend beschrieben war, hoch und googelte ein bisschen. Zuerst suchte ich nach dem Namen Sandro Marino, was mich aber nur auf einen Italiener brachte, der irgendetwas mit einer Großbank zu tun hatte und die Menschheit vor der Inflation warnte. Ob das der Gesuchte war?
Schließlich nutzte ich noch die segensreiche Einrichtung der Rückwärtssuche auf telefonbuch.de, mit der wir auch Matze gefunden hatten, und erkundete die nähere Identität von Herrn oder Frau Hollrich. Es war ein Mann, wohnte in Hückeswagen und hieß laut Eintrag Klaus mit Vornamen.
Die Zeit verging. Das Handy lag empfangsbereit neben mir.
Dr. Rath rief nicht an. Wo ich schon mal beim Googeln war, probierte ich »Yvonne Freier«.
Außer den üblichen Werbeeinträgen spuckte die Seite gerade mal sechs Links aus. Einer davon erklärte irgendwas zur Herkunft des Nachnamens Freier. Die anderen verwiesen auf die Mitgliedschaft bei Stayfriends. Ich klickte und bekam die Namen eines Abschlussjahrgangs von 1998 aufgelistet, bei dem eine Yvonne Freier dabei war. Wenn das meine Wonne war, musste sie etwa 1980 geboren sein.
Dreißig Jahre alt. Passte das? Durchaus.
Das eigentlich Merkwürdige war aber nicht, dass ihr Name auf einer Liste von Schülern zu sehen war.
Das Seltsame war, dass sie im Internet kaum vorkam.
Sie hat gesagt, sie sei Journalistin, dachte ich. Zeig mir den Journalisten, der so selten im Netz auftaucht.
Und das war nicht das einzige Seltsame an ihr. Schon einmal war mir etwas Rätselhaftes aufgefallen. Die Verbindung zu Mathisen. Ich hatte das fast
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