Altenberger Requiem
schon wieder vergessen.
Als ich gerade in einem Strudel von Überlegungen zu versinken drohte, meldete sich die Rechtsanwältin.
»Haben Sie gesehen?«, sagte sie. »Es steht schon in der Zeitung.«
»Das war ja nicht zu vermeiden.«
»Jedenfalls wächst der Druck. Was haben Sie bisher ermittelt, Herr Rott?«
Nichts, hätte ich am liebsten gesagt. Und am allerliebsten hätte ich auf der Stelle mehr über Wonne herausgefunden. Stattdessen musste ich mich hier mit einem Fall rumschlagen, den sie mir zugeschanzt hatte. Irgendwie stand das alles auf sandigem Boden. Auf tönernen Füßen. Oder mit welchen blumigen Vergleichen man das sonst noch benennen wollte.
Ich musste geseufzt haben.
»Ist irgendwas, Herr Rott? Fühlen Sie sich nicht wohl?«
»Nein, geht schon.« Reflexartig nahm ich einen Schluck Kaffee. Die Tasse war noch halb voll, aber der Kaffee war kalt geworden und schmeckte wie Brackwasser. Ich schluckte schnell und berichtete sachlich und knapp, was ich bisher unternommen hatte. Als ich Matzes Alibi präsentierte, entfuhr der Anwältin ein überraschtes »Oh«.
»Immerhin wusste Klara Hackenberg von seinen Machenschaften«, sagte ich. »Sie hat sich jedenfalls mit dem Thema befasst. Ich werde das so schnell wie möglich Hauptkommissar Kotten mitteilen.«
»Wie haben Sie das denn rausgekriegt?«
Ich berichtete von dem Besuch in Klara Hackenbergs Haus. Wie erwartet, betrachtete Frau Dr. Rath diese Vorgehensweise mit gemischten Gefühlen.
»Was Sie da gemacht haben, ist unzulässig. Ich hoffe, das wissen Sie. Haben Sie sonst noch etwas in der Wohnung gefunden?«
Ich fasste zusammen, was in dem Ordner gewesen war.
»Das ist nun wirklich mehr als dürftig, Herr Rott. Briefe einer Nichte, über zwanzig Jahre alt. Was soll das mit dem Mord zu tun haben?«
»Da fällt mir eine Menge ein«, sagte ich vage. Doch ich war selbst nicht besonders überzeugt, dass das eine Spur war.
»Bringen Sie Beweise. Dann können wir uns weiter darüber unterhalten.«
»Wann treffen Sie Reinhold Hackenberg wieder?«
»Heute Nachmittag.«
»Fragen Sie ihn bitte, ob ihm diese Gabriele etwas sagt.«
»Wenn ich das richtig sehe, war er noch ein Kind, als sie nach Österreich zog.«
»Trotzdem. Vielleicht hat seine Mutter irgendwann etwas darüber erzählt. Oder sonst jemand. Fragen Sie bitte auch nach Sandro Marino.«
Ich hörte, wie sie etwas notierte. Sie machte das sehr ordentlich, denn es vergingen ein paar Sekunden.
»Jetzt sind Sie dran«, sagte ich.
Papier raschelte. Die Anwältin nahm sich offenbar andere Notizen vor.
»Wir haben Namen und Anschrift einer Freundin von Klara Hackenberg. Sie heißt Renate Siebert und wohnt in Altenberg.« Sie diktierte mir die Adresse und die Telefonnummer.
»Und weiter?«
»Nichts weiter.«
»Eine einzige Freundin? Keine Verwandten? Oder noch jemand, der etwas gegen sie hatte?«
»Herr Hackenberg hat mit seiner Mutter zwar in einem Haus gewohnt, aber sie hatten keine sehr enge Beziehung. Wenn ich das richtig verstanden habe, hat Frau Hackenberg zu Hause nie Besuch empfangen. Sie hat ihre Kontakte offenbar woanders gepflegt. Oder sie hat kleine Reisen gemacht. Verwandte scheint es nicht zu geben. Bis auf diese Gabriele.«
»Und Sie selbst? Sie nennen Frau Hackenberg immer Klara. In welchem Verhältnis standen Sie denn zu ihr?«
»Das habe ich Ihnen doch schon gesagt. Ich habe sie Vorjahren mal beraten, weil meine Eltern sie kannten. Die sind aber schon lange tot. Ich selbst habe Klara seit Jahren nicht mehr gesehen.«
»Und was ist mit den kleinen Reisen, die Sie erwähnt haben? Wohin gingen die? Reinhold erwähnte Bayern und Österreich.«
»Dann wird es so gewesen sein.«
»Was hat Frau Hackenberg eigentlich beruflich gemacht?«
»Sie war Rentnerin.«
»Ich meine davor.«
»Sie hat gearbeitet. Ich glaube, in einem Verlag. Fragen Sie Frau Siebert.«
»Noch eine Frage: Hat jemand den Tascheninhalt von Frau Hackenberg untersucht? Da könnte ja auch noch ein Hinweis verborgen sein. Ich meine, außer dass sie ihren Haustürschlüssel nicht dabeihatte.«
»Das wird die Polizei getan haben.«
»In Ordnung. Kotten steht eh auf meiner Liste. Rufen Sie mich an, wenn Sie bei Hackenberg waren?«
»Sobald ich außerhalb der JVA mein Handy wieder einschalte.«
Wir verabschiedeten uns.
Erneut behielt ich den Hörer in der Hand und wählte sofort wieder. Kotten war nicht am Platz. Dafür ging Frau Siebert gleich ans Telefon.
»Herr … Wie war noch mal Ihr
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