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Alter König Neuer König - Seelenweishheit im Märchen (German Edition)

Alter König Neuer König - Seelenweishheit im Märchen (German Edition)

Titel: Alter König Neuer König - Seelenweishheit im Märchen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claus Riemann
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Augen aus, dann wirst du die Schöne schon sehen!«, sagten sie und rannten fort. Taile war blind geworden, er konnte nichts mehr sehen. Er verirrte sich in der Wildnis, fand nicht mehr nach Haus und ging elendig zugrunde.
     
    Die Schöne von Taman war jetzt frei. Sie kam glücklich nach Pankatra und erzählte dort allen ihre Erlebnisse. (SÜDSEEMÄRCHEN)
     
4.4.1. Überlegungen zum Märchen
     
    In dieser Geschichte macht sich ein alter Zauberer auf, die Prinzessin zu freien, kein junger Prinz. Das muss in das richtige Leben übersetzt nicht heißen, dass ein achtzigjähriger Mann noch einmal eine Frau sucht. Alt und jung im Märchen sollte man auch symbolisch verstehen. Der alte Zauberer, bzw. die Taile-Haltung kann auch in relativ jungen Menschen wohnen, ebenso gibt es den Impuls des jugendlichen Helden auch in Menschen, die alt an Jahren sind.
     
    Der Anfang dieser Geschichte erinnert mich an eine Kontaktanzeige, die ich vor vielen Jahren gelesen habe. Sie lautete schlicht und ergreifend: »Frauenhasser möchte es mal wieder versuchen!«
     
    Zunächst einmal stimmt der Anfang der Geschichte durchaus zuversichtlich. Der alte Zauberer wird von Liebe entflammt und macht sich auf den Weg ins Reich der Schönen von Taman. Diese könnte eine Doppelgängerin von Dewi Ngalima aus der letzten Geschichte sein. Auch sie ist mutterlos, auch sie eine Vater-Tochter, auch bei ihr ist zumindest anfangs wenig Autonomie oder eigener Wille zu spüren, auch sie erscheint zunächst passiv, in der Rolle des Opfers.
     
    Als Taile seine Reise antritt, scheint er reinen Herzens zu sein, alles andere als unsympathisch und böse. Die Wandlung beginnt, als ihm »die Leute« begegnen und ihn auslachen: »So wie du aussiehst, hast du keine Chance bei der Schönen.« Wer kennt das nicht aus seinem eigenen Leben? Das Gefühl: Wenn ich einfach nur so bin, wie ich bin, genüge ich nicht; ich bin zu alt, ich bin zu hässlich, ich bin – wie auch immer – unzulänglich! Was liegt da näher, als eine Wellnesskur zu machen oder sich einem Anti-Aging-Verfahren zu unterziehen?
     
    Taile lässt sich einreden, dass er nur mit einer Maske, einer Persona eine Chance am Königshof hat, und er liegt richtig. An einem Königshof ohne Königin, ohne Seelenweisheit, ist das so, schrecklich normal. Die mutterlose Prinzessin lässt sich von Äußerlichkeiten blenden.
     
    Ich habe viele Männer erlebt, die in der Auseinandersetzung mit dieser Szene sehr traurig geworden sind, die das Gefühl kennen, nur als Supermann, als toller Hecht, als geschniegelter Gentleman, aber nicht als hässlicher, alter Zauberer geliebt zu werden. Da haben wir die Parallele zum letzten Märchen: Die Sehnsucht der Frau ist sicherlich, auch als alte hässliche Hexe geliebt zu werden, nicht nur als Lichtprinzessin.
     
    Diese »Persona-Haltung« lässt sich auf Dauer nicht durchhalten, zumindest nicht in einer längeren Beziehung. In einer kurzen Begegnung lässt sich der Schatten besser ausklammern, und sollte es doch irgendwann schwierig werden, können wir weiterfliegen zum nächsten Partner. Aber in einer Beziehung, die diesen Namen auch verdient, werden irgendwann die Masken fallen müssen, will der Schatten mit leben.
     
    Nach seiner wundersamen körperlichen Verwandlung spielt Taile seinen nächsten Trumpf aus, er setzt der Schönen den roten Blumenkranz auf. Rot ist die Farbe des Blutes, der Leidenschaft. Männer, die Frauen diesen Kranz aufzusetzen vermögen, beherrschen den Liebeszauber, können Leidenschaft wecken, wie ihr weibliches Pendant Circe, die die Gefährten des Odysseus in Schweine verwandeln, sie also am Sex packen kann. Die Schöne verfällt der Sexualmagie des Zauberers.
     
    Der Anfang dieser Beziehung erscheint also auch geprägt von intensiver Erotik. Dagegen gibt es nichts einzuwenden. Wer von uns genießt nicht erfüllte Sexualität, Lust und Leidenschaft? Allerdings: Die Verzauberung ist einseitig. Taile gewinnt Macht über die Schöne, sie verfällt ihm. Er »drückt die Knöpfe«, hält die Fäden in der Hand, sie ist gefangen in seinem Spinnennetz. Macht ist hier eine Einbahnstraße: Er zaubert, sie wird verzaubert.
     
    Außerdem scheint Taile ein sehr widersprüchliches Wesen zu sein: Auf der einen Seite beherrscht er als Mann der Macht den Zauber des roten Blumenkranzes, scheint überhaupt über ein reiches Repertoire von Zauberkunststücken zu verfügen; auf der anderen Seite erscheint er als zutiefst unsicher.
     
    Wäre nämlich Taile

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