Alter König Neuer König - Seelenweishheit im Märchen (German Edition)
geschildert, die es in so vielen realen Beziehungen gibt: Ein versteinerter Mann und eine trauernde, wartende Frau.
Viele Frauen, die mit diesem Märchen arbeiten, kennen diese Situation: Mit einem versteinerten Mann zusammenzuleben, der auf der Herzensebene nicht erreichbar ist aus lauter Angst vor tiefen Gefühlen, Angst vor Hexengefühlen.
Wenn man eine mitfühlende Frau ist, vielleicht etwas vom Archetyp der Heilerin hat, wird man das verstehen. Man wird sich auf das beziehen, was man ahnt im Inneren des Mannes, nach dem Motto: Im Grunde ist er ja ganz anders. Er hat ja so viel Gefühl, er kann es nur nicht zeigen! Und außerdem: Er hatte ja eine so schwere Kindheit! Aber Verstehen ist der Trostpreis! Wer sich damit zufriedengibt, wird ein Leben lang schwarze Reiskörner weinen und letztlich vor lauter Warten selbst schwarz und depressiv werden.
Fast jede Frau, die sich mit dieser Schlussszene auseinandersetzt, erhält von innen den Auftrag: Steh auf, hör auf, das Totenhemd für den Prinzen zu nähen! Mach dich selbst auf den Weg, werde autonom, befrei dich aus der Haltung der passiven Vater-Tochter! Dass es wichtig ist, gescheiterte Beziehungen zu betrauern, für eine Zeit lang das Totenhemd zu nähen, ist unbestritten. Genauso wichtig ist es jedoch, damit wieder aufzuhören und sich wieder auf die Achterbahn des Lebens zu begeben.
Darüber erzählt eine Tarotkarte: Die fünf der Kelche. Auf dieser Karte ist eine schwarze, trauernde Gestalt dargestellt, die nach links (zum Reich der Vergangenheit) blickt. Dort sieht man drei ausgegossene Kelche. Rechts (im Reich der Zukunft) stehen zwei volle Kelche. Dort ist außerdem ein Fluss mit einer Brücke zu sehen.
Die Botschaft dieser Karte ist folgende: Manchmal im Leben ist »Trauerarbeit« wichtig. Schmerzhafte Erlebnisse aus der Vergangenheit wollen beweint werden. Dann aber, wenn genug Tränen vergossen sind, richte den Blick in die Zukunft, sieh die Fülle des Lebens, die noch vor dir liegt. Dann überschreite den Fluss und mach dich auf den Weg in die neue Welt!
Den Rat, nicht auf die Vergangenheit, das Gestern fixiert zu bleiben, gibt auch die alte Baba Yaga: »Der Morgen ist klüger als der Abend!«
4.4. Taile
Hoch oben in den Bergen von Dschokasch auf Ponape lebte einmal ein böser Zauberer, der hieß Taile. Er war schon sehr alt und betagt und wohnte in einem kleinen Häuschen, das dicht neben einer großen Höhle stand.
Eines Tages erzählten ihm die Leute, dass in Matolenim das hübscheste Mädchen lebte, das man je gesehen hätte. Alle priesen ihre Schönheit und lobten sie. Die »Schöne von Taman« wurde sie genannt, und sie war die Tochter des Königs Schautelur. Als Taile das hörte, wurde er so von Liebe zu ihr entflammt, dass er sie heiraten wollte.
Er machte sich auf und wanderte zu Fuß über die Berge nach Matolenim. Unterwegs traf er eine Anzahl Männer, die bereiteten eine Brotfruchtspeise für Schautelur. Er sah ihnen eine Weile zu, fragte sie dann nach dem Wege und erzählte ihnen sein Vorhaben. Da lachten sie ihn alle aus und sagten, die Königstochter würde sich wohl für einen solch hässlichen Mummelgreis allerschönstens bedanken.
Taile antwortete ihnen nichts darauf und zog weiter; im Stillen dachte er aber über die Worte der Leute nach und beschloss, sich wieder jung zu machen, um die Schöne von Taman zu erringen.
Zunächst pflückte er eine Menge schöner, roter Blumen und machte sich daraus einen prächtigen Kranz. Den setzte er sich auf den Kopf. Da sah er schon besser aus. Er wanderte weiter und kam an einen einsamen Ort. Dort legte er seine dicken, geschwollenen Beine ab und setzte sich dafür jugendlich frische ein. Er zog weiter und kam an einen anderen Ort. Dort legte er sein weißes Haar ab und vertauschte es mit einer hübschen, schwarzen Kopfzierde.
Er ging weiter und kam an einen anderen Ort. Dort entledigte er sich seiner schlaffen Hoden und ersetzte sie durch kleine, zarte, pralle. So wurde er immer jünger aussehend. Und als er schließlich noch seine alten, hässlichen Triefaugen aus dem Kopf nahm und blanke, helle Augen dafür einsetzte, als er sich die Runzeln und Falten aus dem Gesicht strich, da war er wieder zum jungen Mann geworden.
So kam er denn nach Pankatra an den Hof des Königs. Er trat in das Haus ein, wo der König mit seiner Tochter gerade beim Essen saß. Sie luden Taile ein, bei ihnen Platz zu nehmen und mitzuessen. Die Schöne von
Weitere Kostenlose Bücher