Am Anfang des Weges
Gesellschaft zur Suizidprävention in Seattle ehrenamtlich ein paar Aufträge übernommen. Die Worte, die ich mir für ihren Radio-Werbespot einfallen gelassen hatte, hallten mir noch immer in den Ohren:
Selbstmord – eine endgültige Lösung für ein
befristetes Problem.
Ein griffiger Slogan, aber für mich klangen die Worte hohl. An McKales Tod war nichts befristet. Ich hatte alles verloren: meine Firma, mein Zuhause, meine Autos und vor allem meine Liebe. Meine Hoffnung. Es war nichts mehr übrig. Es gab keinen Grund mehr zu leben, bis auf die natürliche menschliche Abneigung gegen den Tod. Aber selbst die schwand allmählich. Ich konnte spüren, wie sie von einem Übermaß an Schmerz, Verzweiflung und Wut verdrängt wurde. Wut auf das Leben. Wut auf Gott. Vor allem Wut auf mich selbst.
Ich betrachtete die Pillen. Worauf wartete ich noch? Es war an der Zeit, es hinter mich zu bringen. Zeit, Nägel mit Köpfen zu machen. Ich schüttete mir die Tabletten in die hohle Hand.
Ich war gerade dabei, den Punkt, ab dem es kein Zurück mehr gibt, zu überschreiten, als etwas passierte. Etwas, das so völlig anders war als alles, was ich je zuvor erlebt hatte. Etwas, das, wie ich glaube, von Gott kam – oder aus einem Teil Seiner Welt.
Als ich ein Kind war, erzählte mir meine Mutter von Gott. Sie war ein großer Fan von Ihm – selbst dann noch, als sie im Sterben lag. Erst recht , als sie im Sterben lag. Sie betete, nicht wie manche Leute, die einfach den Text eines Gebets oder eines Kirchenlieds aufsagen oder in ein leeres Universum schreien, sondern so, als wäre Er tatsächlich mit ihr im selben Zimmer. Manchmal schlug ich, während sie betete, die Augen auf und sah mich um, um zu sehen, mit wem sie redete.
Genau in diesem Augenblick, einen Sekundenbruchteil bevor ich die Grenze überschritt, sprach jemand zu mir. Ich weiß nicht, ob die Worte wirklich zu hören waren, da sie von meinem Verstand zu kommen und zugleich an ihn gerichtet zu sein schienen, aber sie besaßen eine Autorität, die weitaus größer war als die, die mein eigener Verstand aufbringen konnte. Es waren nur acht Worte. Acht Worte, die mich abrupt innehalten ließen.
Du hast kein Recht, dein Leben zu beenden.
Meinem ersten Impuls folgend, schaute ich mich um, um zu sehen, wer da gesprochen hatte. Als ich begriff, dass ich wirklich allein war, ließ ich die Pillen auf den Boden fallen. Dann sprach noch eine andere Stimme zu mir. Eine sanftere Stimme. Die Stimme meiner Liebe.
»Lebe.«
Zum ersten Mal begriff ich das volle Ausmaß des Versprechens, das McKale mir abgenommen hatte. Sie kannte mich. Sie wusste, dass ich ohne sie nicht leben wollen würde.
Ich fiel auf die Knie und begann zu weinen. Ich kann mich nicht erinnern, was danach geschah. Ich kann mich an gar nichts mehr erinnern.
Einundzwanzigstes Kapitel
Sie haben mir nicht mein Zuhause genommen, nur die Steine und den Mörtel, in dem es einmal zu Hause war.
Alan Christoffersens Tagebuch
Am nächsten Morgen wachte ich davon auf, dass jemand die Haustür aufschloss. Im Haus war es dunkel. Obwohl die Sonne bereits aufgegangen war, war der Himmel grau und dunkel, typisch für diese Jahreszeit. Wenigstens regnete es nicht mehr.
Die Tür ging auf, bevor ich aufstehen konnte. Ein gut gekleideter Mann in einem grauen Wollanzug, mit weißem Hemd und purpurroter Krawatte, betrat meine Diele, gefolgt von zwei älteren Frauen. Sie schalteten das Licht an.
Eine der beiden Frauen sah mich als Erste. »O mein Gott!«
Die beiden anderen wandten sich um und sahen mich an, während ich mich hochrappelte. Da stand ich, zerzaust und unrasiert, eine Flasche Schnaps auf dem Tisch und Pillen auf dem Boden verstreut. Die Frauen sahen mich ängstlich an.
»Entschuldigung.« Der Mann klang eher verärgert als entschuldigend. »Man hat uns gesagt, dass das Haus leer stünde.«
»Dem ist nicht so«, sagte ich.
»Offensichtlich nicht.« Der Mann griff in seine Manteltasche und zückte eine Visitenkarte. »Ich bin Gordon McBride von der Pacific Bank. Sie sind sich darüber im Klaren, dass das Haus unter Zwangsvollstreckung steht?«
Ich nahm die Karte nicht entgegen. »Sie verschwenden nicht viel Zeit, was?«
Er sah aus, als fühle er sich unbehaglich. »Sie wissen doch, was man sagt: ›Zeit ist Geld.‹«
»Das stimmt nicht.«
»Wir können später wiederkommen«, sagte eine der Frauen.
»Nein, nein, schon gut«, sagte ich. »Sehen Sie sich ruhig um. Ich bin noch dabei, meine Sachen
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