Am Anfang des Weges
Geheimnisse, Unsicherheiten, Ängste und manchmal auch unsere Herzensdinge miteinander. Als ich zehn war, begann ich, sie Mickey zu nennen. Das gefiel ihr. Es war dasselbe Jahr, in dem wir in ihrem Garten ein Baumhaus bauten. Wir verbrachten viel Zeit darin. Wir spielten Brettspiele wie Mausefalle und Sorry, und manchmal übernachteten wir sogar dort. An ihrem elften Geburtstag fand ich sie dort, in einer Ecke sitzend und hysterisch weinend. Als sie wieder sprechen konnte, sagte sie: »Wie konnte sie mich verlassen? Wie kann eine Mutter so etwas nur tun?« Sie wischte sich wütend die Augen.
Ich hatte keine Antwort für sie. Ich hatte mich dasselbe gefragt.
»Du kannst von Glück reden, dass deine Mutter gestorben ist«, sagte sie.
Das gefiel mir gar nicht. »Ich kann von Glück reden, dass meine Mutter gestorben ist?«
Zwischen zwei Schluchzern sagte sie: »Deine Mutter wäre geblieben, wenn sie gekonnt hätte. Aber meine Mutter hat sich entschieden, mich zu verlassen. Sie ist noch immer irgendwo dort draußen. Ich wünschte, sie wäre stattdessen gestorben.«
Ich setzte mich neben sie und legte den Arm um sie. »Ich werde dich niemals verlassen.«
Sie legte den Kopf an meine Schulter. »Ich weiß.«
McKale eröffnete mir die weibliche Welt. Einmal wollte sie, dass wir uns küssen, nur um zu sehen, ob es wirklich so toll war, wie alle behaupteten. Wir küssten uns ungefähr fünf Minuten lang. Das gefiel mir. Sehr sogar. Aber ich bin mir nicht sicher, ob es ihr auch gefallen hatte, denn sie bat mich nie wieder, es zu tun. Daher taten wir es nie wieder.
So war das mit uns. Wenn McKale etwas nicht gefiel, taten wir es nicht. Ich begriff nie, wieso immer sie es war, die die Regeln aufstellte, aber ich befolgte sie immer. Irgendwann entschied ich, dass es eben einfach so war.
Sie ging sehr offen mit ihrem Erwachsenwerden um. Manchmal fragte ich sie etwas, und dann sagte sie: »Ich weiß nicht. Für mich ist das auch neu.«
Als sie dreizehn war, fragte ich sie, warum sie keine Freundinnen habe.
Als hätte sie lange darüber nachgedacht, antwortete sie: »Ich mag keine Mädchen.«
»Warum nicht?«
»Ich vertraue ihnen nicht.« Dann fügte sie hinzu: »Ich mag Pferde.«
McKale ging fast jede Woche reiten. Etwa einmal pro Monat lud sie mich ein mitzukommen, aber ich sagte immer, ich hätte keine Zeit. In Wahrheit hatte ich schreckliche Angst vor Pferden. Einmal, als ich sieben war, machten mein Dad, meine Mom und ich im Sommer Urlaub auf einer Ferienranch in Wyoming, die Juanita Hot Springs hieß. An unserem zweiten Tag dort unternahmen wir einen Ausritt. Mein Pferd war ein Schecke namens Cherokee. Ich hatte noch nie auf einem Pferd gesessen, daher umklammerte ich mit einer Hand das lederne Sattelhorn und mit der anderen die Zügel, während ich jede Sekunde der Unternehmung hasste. Während des Ausritts beschlossen ein paar der Cowboys, ein Wettrennen zu veranstalten, und mein Pferd entschied, dass es mit von der Partie sein wollte. Als es mit mir durchging, ließ ich die Zügel fallen und klammerte mich an das Sattelhorn, während ich laut um Hilfe schrie. Zum Glück machte einer der Cowboys kehrt, um mich zu retten – auch wenn er seine Verachtung für diesen »Großstadtjungen« nicht verhehlen konnte. Er sagte nur: »Ich reite, seit ich drei bin.« Kein Wunder, dass ich McKales Liebe zu Pferden nie teilte.
Abgesehen von der Reiterei waren wir fast immer zusammen. Wir gingen zusammen zur Grundschule und durch das schwierige Alter, darunter die mittleren Schuljahre – die Achselhöhle des Lebens. Mit fünfzehn reifte McKale körperlich heran, und die Highschool-Jungs begannen, ihr Haus zu umschwärmen wie Motten das Licht. Auch mir entging die Veränderung an ihr natürlich nicht, und sie trieb mich in den Wahnsinn. Man sollte diese Art Gefühle nicht für seine beste Freundin haben.
Ich kochte vor Eifersucht. Ich hatte keine Chance gegen diese Typen. Sie hatten Schnurrbärte. Ich hatte Akne. Sie hatten aufgemotzte Autos. Ich hatte eine Monatskarte für den Bus. Ich war extrem uncool.
Der Erziehungsstil von McKales Vater ließ sich am besten als Laisser-faire bezeichnen, und als er ihr in der Mittelstufe erlaubte, mit Jungs auszugehen, verlor sie vor lauter Verabredungen fast den Überblick. Nach ihren Rendezvous kam sie oft noch zu einer Art Nachbesprechung bei mir vorbei, was ein bisschen so war, als würde man einem Verhungernden das Büfett beschreiben, an dem man sich eben satt gegessen hat. Ich
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