Am Anfang eines neuen Tages
tragen können. Den Rest überlassen wir Gottes Willen.“
Jo fragte sich, ob diese letzten wenigen Habseligkeiten den Krieg überstehen würden oder ob Gott ihnen auch das noch wegnehmen würde. Sie und Mutter hatten sich seit dem Tag, an dem ein konföderierter Captain und seine Handvoll berittener Männer zu ihrer etwa zwanzig Kilometer von Richmond entfernt liegenden Plantage gekommen waren, um sie vor dem näher rückenden Feind zu warnen, an diese Erinnerungen an ihr altes Leben geklammert.
„Es ist nicht sicher, länger hierzubleiben, Ma’am“, hatte er ihnen erklärt. Er hatte aus Respekt den Hut abgenommen, war aber nicht abgestiegen. Das Pferd hatte ungeduldig geschnaubt und sein Atem hatte in der kühlen Luft eine Wolke gebildet.
Für Jo war ein weiterer Verlust unvorstellbar gewesen, und das nur wenige Monate nach Daddys Tod. „Aber wir können doch nicht unser Haus verlassen!“, war es Jo entfahren. „Es ist alles, was wir noch haben!“
Mutter hatte stolz und stark dort gestanden, während sie die Nachricht verdaut hatte. Ihre innere Kraft schien aus dem gleichen Kleber zu sein, der das Universum zusammenhielt und die Sterne an ihrem Platz befestigte. Sie hatte Jos Hand genommen und sie gedrückt. „Was wird passieren, wenn wir beschließen, hierzubleiben?“, hatte Mutter den Captain gefragt.
„Der Feind könnte schon morgen hier sein, Ma’am, deshalb rate ich Ihnen dringend zu fliehen. Die Yankees sind Wilde ohne einen Funken Anstand oder Tugend.“ Er blickte zu den Sklaven der Familie hinüber, die ihre Arbeit unterbrochen hatten, um zuzuhören, und fügte hinzu: „Außerdem weiß keiner, was die Schwarzen tun werden, wenn die Yankees sie aufhetzen und ihnen Freiheit und all das versprechen.“
Jos Atem schien in ihrer Lunge zu gefrieren, während sie in der eisigen Luft darauf wartete, wie ihre Mutter sich entscheiden würde. Das Pferd des Captains tänzelte nervös und zog an den Zügeln, als wollte es am liebsten gleich davongaloppieren. „Unsere Soldaten patrouillieren so lange wie möglich die Straßen nach Richmond, Ma’am. Sie werden Sie den ganzen Weg über beschützen. Aber wenn wir uns zurückziehen müssen, können wir nicht mehr für Ihre Sicherheit garantieren.“
„Danke, Captain.“ Mutter lächelte, immer noch die gefasste und schöne Herrin von White Oak. „Guten Tag und viel Glück Ihnen und Ihren Männern.“ Dann ging sie ins Haus und schloss die Tür. Den restlichen Vormittag über hatte sie ruhig Befehle erteilt, während Ida May und Lizzie und die anderen Haussklaven den Hausstand eingepackt und Bettdecken und Kleidung und ein paar Möbelstücke und Koffer voll mit Wertsachen in die Kutsche geladen hatten. Otis spannte das einzige ihnen verbliebene Pferd vor den überladenen Wagen und fuhr sie zu Tante Olivias Haus in Richmond, während die übrigen Sklaven allein auf der Plantage zurückblieben.
Die Stadt war voller Flüchtlinge gewesen und pulsierte vor Angst. Sie hatte wenig Ähnlichkeit mit dem Richmond, das Josephine vor dem Krieg besucht hatte, trotzdem hatte sie ihnen in den vergangenen Monaten Sicherheit und Zuflucht geboten. Aber jetzt nicht mehr.
Jo wandte sich vom Fenster ab und sah sich in dem überfüllten Zimmer um. Was sollte sie einpacken? Die Dinge, die ihr einmal wichtig erschienen waren – ihre Garnitur aus Bürste und Spiegel mit den Elfenbeingriffen, ihr Tagebuch, die Opalkette ihrer Großmutter –, spielten kaum noch eine Rolle. Dies waren Schätze für eine andere Zeit und einen anderen Ort, unnötiger Ballast im Kampf ums Überleben. Sie hatte mehrere Kleider mit nach Richmond genommen, aber das einzige, das sie jetzt brauchte, war das grüne Musselinkleid, in dessen Saum ihre Goldmünzen eingenäht waren. Sie knöpfte das Oberteil auf und schlüpfte in dieses Kleid. Ihre Mutter und ihre Schwester zogen sich ebenfalls um.
Josephine packte ein paar wichtige Toilettenartikel in einen Leinenbeutel und beschloss dann, auch die Fotografie ihres Vaters, Philip Weatherly, mitzunehmen. Sie schien das allerletzte Andenken an das Leben zu sein, das sie früher geführt hatte, und sie fürchtete, die Erinnerung an sein attraktives Gesicht ebenso zu verlieren, wie sie alles andere verloren hatte. Als sie fertig war, trug Josephine ihre Tasche nach unten und setzte sich mit dem Rest der Familie in den Salon, um zu warten. Tante Olivia und ihre drei Töchter hatten ebenfalls ihre Taschen gepackt, aber Großtante Hattie weigerte sich, auch
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