Am Anfang eines neuen Tages
weiß ich.“ Eugenia wunderte sich noch immer darüber, wie Mr Chandler den Teufelskreis aus Hass und Gewalt durchbrochen und allen die Chance zu einem Neuanfang gegeben hatte.
„Und wer weiß“, sagte David, „wenn die Eisenbahnen wieder fahren, können Sie vielleicht sogar nach Pennsylvania reisen und Josephine besuchen oder sie kann hierherkommen.“
„Ja. Und sie hat versprochen, mir zu schreiben.“
Die Kutsche fuhr an Priscilla Blakes Plantage vorbei und weiter in Richtung Stadt. Eugenia würde bald mit ihrer Freundin sprechen müssen. Priscilla würde enttäuscht sein, wenn sie die Neuigkeit über Josephine hörte, das stand fest. Aber es gab keinen Mangel an jungen Frauen in ihren Kreisen, die einen geeigneten Ehemann suchten, und die Plantage der Blakes war eine der wenigen, die wieder gedieh.
„Bevor Josephine heute Morgen abgereist ist, habe ich ihr gesagt, dass das Leben kurz ist – und die Liebe sehr wichtig. Ich sagte, wenn sie auch nur einen Bruchteil der Liebe und des Glücks erleben dürfe, die ich mit Philip erlebt habe, dann wäre sie gesegnet.“
„Das ist ein guter Rat.“
„Und wissen Sie, was sie gesagt hat?“, fragte Eugenia und blickte zu ihm auf. Er schüttelte den Kopf. „Sie sagte: ‚Bleib nicht allein, Mutter. Daddy würde das nicht wollen.‘“
Er schenkte ihr ein warmherziges Lächeln. „Das ist auch ein guter Rat.“
Wenig später traf die Kutsche in Fairmont ein und David deutete auf das Geschäft, in das das Amt für Freigelassene und die Schule für Schwarze gezogen waren.
„Tun Sie mir einen Gefallen, David? Kommen Sie nächste Woche mit mir zu dem neuen Beamten? Ich würde gerne zusätzliche Arbeiter einstellen. Otis hat die Verantwortung für meine Plantage, aber er und Lizzie können nicht alles allein machen.“
„Es wird mir ein Vergnügen sein.“
Sie bogen in die Straße ein, in der David wohnte, und er brachte die Kutsche vor seinem Haus zum Stehen. Nachdem er ihr beim Aussteigen geholfen hatte, trat Eugenia zum ersten Mal durch die Tür seines Hauses. Sie war sprachlos, als sie sah, wie einfach, aber elegant es war. Sämtliche Räume waren mit schönen Antiquitäten gefüllt. „Sie haben es aber hübsch, David!“
„Danke. Aber dafür kann ich nichts. Ich habe eine Haushälterin.“ Er führte sie ins Esszimmer und zu einem Tisch, über dem ein Leinentischtuch hing und der mit feinem Porzellan für zwei Personen gedeckt war. Er zog einen Stuhl heraus, damit sie sich setzen konnte.
„Oh, David … ich hatte ja keine Ahnung …“
„Dass ich so gut lebe?“
„Es tut mir schrecklich leid, ich wollte nicht –“
„Ist schon gut, Eugenia“, sagte er lachend. „Es macht mir ungeheuren Spaß, Sie zu überraschen. Beinahe alles, was Sie hier sehen, habe ich von meiner Familie mütterlicherseits geerbt. Am Ende haben die Blandfords uns doch wieder aufgenommen.“ Er nahm ihr gegenüber Platz und entkorkte eine kleine Flasche. „Ich habe noch etwas Kirschsaft übrig – darf ich Ihnen etwas davon anbieten?“
„Ja, danke.“
Er goss eine kleine Menge in jedes Glas, dann hob er seins. „Sollen wir einen Toast ausbringen, Eugenia?“
„Ja. Auf die Zukunft. Ich will nicht mehr in der Vergangenheit leben. Mein Leben kann nie wieder so sein wie früher und es war dumm von mir, es zu erwarten. Wenn ich während der vergangenen schrecklichen Jahre etwas gelernt habe, dann, dass das Leben ein kostbarer Schatz ist, den wir nicht für selbstverständlich halten dürfen. Also trinken wir auf die Tage, die kommen.“
„Auf die Zukunft“, sagte David und berührte mit seinem Glas das ihre.
„Ja. Auf die Zukunft.“
* * *
15. September 1865
Josephine stand am Schlafzimmerfenster im Haus ihrer Tante und blickte auf die grünen Baumwipfel von Richmond hinaus. Es kam ihr vor, als wären Jahre vergangen, seit sie hier gestanden und zugesehen hatte, wie Flammen und Rauch in den Himmel gestiegen waren, während die Stadt gebrannt hatte – aber zu ihrer Überraschung war das gerade einmal fünf Monate her. Eine so kurze Zeit und doch so viele, viele Veränderungen!
In wenigen Minuten würde Alexander mit dem Pfarrer kommen. Sie würden einander in Tante Olivias Salon das Trauversprechen geben und gemeinsam ein neues Leben beginnen. Josephine blickte auf den Ring hinunter, den er ihr geschenkt hatte, und sah, dass ihre Hände zitterten. Sie gab zu, dass sie Angst hatte – aber nicht im gleichen Sinne wie beim letzten Mal, als sie hier gestanden
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