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Am Anfang eines neuen Tages

Am Anfang eines neuen Tages

Titel: Am Anfang eines neuen Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lynn Austin
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möchte.“ Der Junge rannte über den kahlen Hof zum Stall und erschien eine Minute später zusammen mit Otis. Der Schwarze blieb einige Meter entfernt stehen und nahm seinen Strohhut ab. Er war ein großer, muskulöser Feldarbeiter, und obwohl es Eugenia immer schwerfiel, das Alter eines Sklaven zu schätzen, vermutete sie, dass er um die dreißig war. Er war ein fügsamer Sklave und hielt den Blick gesenkt, so wie es sich gehörte.
    „Ja, Ma’am?“
    Eugenia wurde mit einem Mal bewusst, dass er ihr nicht mehr gehörte und dass sie kein Recht hatte, ihm irgendwelche Befehle zu erteilen. Sie würde ihn bitten müssen, sie zu begleiten – und Eugenia hatte noch nie in ihrem Leben einen Schwarzen um einen Gefallen gebeten. Sie wappnete sich für seine Weigerung.
    „Ich muss etwas in der Stadt erledigen, in der Nähe der Paulskirche, und ich glaube, es ist für mich alleine zu gefährlich, dorthin zu gehen. Ich frage mich, ob du mitkommen kannst.“
    „Ich war in der Stadt und habe das Durcheinander selbst gesehen, Ma’am. Ich würde ja mit Ihnen hingehen, aber …“
    „Aber was?“ Würde er eine Bezahlung verlangen?
    „Ich hoffe, Sie haben nicht vor, Ihre Kutsche zu nehmen. Wenn die Leute sehen, dass Sie ein Pferd haben, stehlen sie es sofort. Und die Kutsche auch.“
    Diese Möglichkeit war Eugenia noch gar nicht in den Sinn gekommen. Das Geschäft, in dem die Lebensmittel ausgeteilt wurden, war mindestens ein Dutzend Häuserblocks entfernt und sie war es nicht gewohnt, zu Fuß zu gehen. Aber wie sollte sie jemals zu ihrer Plantage zurückgelangen, wenn jemand ihr Pferd stahl? „Dann müssen wir wohl zu Fuß gehen“, sagte sie schließlich. „Hol einen leeren Kartoffelsack, den wir mitnehmen können.“
    Sie gingen zwei Blocks bis zur Franklin Street und dann den Hügel hinunter in Richtung Capitol, dessen weißes Dach in der Ferne ebenso zu sehen war wie der Turm der Paulskirche. Je näher Eugenia dem Zentrum von Richmond kam, desto mehr verwandelte sich ihre Umgebung in einen Albtraum. Sie hatte versucht, sich auf die Zerstörung einzustellen, aber es war trotzdem ein Schock. Von den Gebäuden in der verlassenen Geschäftsgegend waren nur noch Skelette übrig mit schwarzen Löchern statt Fenstern, die wie leere Augenhöhlen wirkten. Das Geröll lag kniehoch auf den Straßen. Viele schöne Häuser waren nur noch ein Haufen verkohlter Steine und Balken und schiefer Schornsteine. Das Herz Richmonds – des schönen Richmonds – lag in Trümmern.
    Otis versuchte, die schlimmsten Gegenden zu umgehen, und führte Eugenia um Berge von Schutt herum und an bröckelnden Mauern vorbei, die aussahen, als könnten sie jeden Augenblick vom Wind umgestoßen werden. Eine kräftige Brise blies Staub und Schlacke in Eugenias Augen und hinterließ einen Geschmack der Zerstörung in ihrem Mund. Ihre Schuhe waren für einen so beschwerlichen Weg nicht gemacht. Sie wurden von dem Ruß ganz schwarz, und wenn sie nicht Trauer getragen hätte, wäre auch der Saum ihres Kleides fleckig geworden.
    „Warte. Ich muss mich einen Moment ausruhen.“ Eugenia war schwindelig und sie blieb stehen. Die ausgebrannte Ruine, die vor ihr aufragte, war die Bank, mit der ihr Mann Philip Geschäfte gemacht hatte. Was war mit all dem Geld geschehen? Mit den Unterlagen der Bank?
    Wenigstens waren die Paulskirche und das Capitol auf der anderen Seite des Platzes noch unbeschädigt. Der Anblick munterte sie auf, bis sie die verhasste Flagge der Union auf dem Dach des Capitols flattern sah. Der Rasenplatz vor dem Gebäude war von einem Meer aus blauen Uniformen bevölkert. Eugenia wandte den Blick ab und presste eine Faust an ihre Brust, während ihr Herz sich schmerzhaft zusammenzog. War der Krieg umsonst gewesen? Waren Philip und ihr Sohn Samuel für nichts und wieder nichts gestorben? Sie dachte an die Worte in einem von Tante Hatties Psalmen, in dem Israels Niederlage gegen seine Feinde beklagt wurde, und noch nie waren ihr die Worte so quälend angemessen erschienen. „ An den Wassern zu Babel saßen wir und weinten, wenn wir an Zion gedachten.“
    Sie holte tief Luft und ging weiter, vorbei am Capitol Square und in Richtung Broad Street auf das Lebensmittelgeschäft zu. Die Menschenschlange davor erstreckte sich beinahe über zwei Häuserblocks. Eugenia atmete tief ein, als sie ihren Platz am Ende der Schlange einnahm, und stellte bestürzt fest, dass alle möglichen zwielichtigen Leute sich mit ihr anstellten – weißer Abschaum und

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