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Am Anfang war das Wort

Am Anfang war das Wort

Titel: Am Anfang war das Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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Vollkommenheit ist unmenschlich. ›Und dann für den Tod‹ – der Sieg der Schönheit und der Jugend endet im Galopp zum Untergang.«
    Er hob den Kopf und schaute die Studenten an, die aufgehört hatten zu schreiben, dann betrachtete er mit besonderem Mitleid die junge Frau mit den Sommersprossen, die ihn voll Eifer ansah. Michael fragte sich, ob sie, in ihrem Alter, überhaupt hatte verstehen können, was Tuwja Schaj gesagt hatte. Er selbst empfand immer größere Achtung vor Tuwja Schaj. Etwas in ihm hatte sich beim Anhören dieser Interpretation verwandelt. Ihm war bewußt, daß Schaj etwas Grundsätzliches vor ihm aufgedeckt hatte, etwas, was ihn auch persönlich betraf, doch er fühlte, daß er die Fäden noch nicht zusammenbrachte.
    »Der Sprecher entblößt sich selbst durch Verständnis und Unverständnis. Er regt sich nicht auf über die Diskrepanz zwischen der wunderbaren Kraft Simsons und seiner Schwäche. Die Überlegenheit der göttlichen Kraft gegenüber der menschlichen erregt ihn nicht. Er ist betroffen von der triebhaften, vergänglichen Schönheit, er ist nicht betroffen von der auf den Menschen ausstrahlenden göttlichen Kraft. Die Kraft Simsons besitzt nicht den Trieb zur Zerstörung, deshalb wird er, der Sprecher, nicht davon beeindruckt, sie ist in seinen Augen bedeutungslos. Simsons Kraft erschüttert keine grundsätzlichen Bindungen wie Vater-Sohn, Untertan-König und ähnliche. Die Kraft, die das Herz des Sprechers berührt, ist die Kraft zum Zerstören, ohne Hemmungen, die Kraft, die sich an archaische Schichten in den Herzen der Menschen richtet, Schichten, die normalerweise vom moralischen Kodex beherrscht werden, diesmal aber der Kraft nicht standhalten und ihn in den Untergang reißen.«
    Tuwja Schaj blickte Michael direkt an, als er weitersprach. »Dieser Untergang ist nicht nur Absaloms Untergang, wir erinnern uns, daß sich zwanzigtausend Mann zum Krieg im Walde Ephraim versammelt hatten, wir erinnern uns an Ahithophel, der sich das Leben genommen hat, und an Davids schreckliche Trauer, der schrecklichsten Trauer, von der die Bibel berichtet, über seinen geliebten Sohn. Um diese Trauer zu beenden, war Joab gezwungen, David zu beschuldigen, es wäre ihm lieber, alle seine Untertanen wären tot, wenn nur Absalom lebte.«
    Die Stille hielt an, bis Tuwja Schaj weitersprach: »Verstehen Sie, meine Herrschaften, dies ist der dritte Text. Ich danke Ihnen.« Mit diesen Worten setzte er sich auf seinen Stuhl.
    »Aber von wem ist das Gedicht?« fragte die Frau mit der Kappe.
    »Von Sach«, sagte der junge Student mit den hellen Augen und betrachtete liebevoll das Buch in seiner Hand.
    Die Frau schrieb etwas auf. »Nathan Sach?« erkundigte sie sich. Der junge Mann gab ihr keine Antwort.
    Michael blieb auf seinem Platz sitzen. Er sah, wie sich die hübsche Sommersprossige zu Tuwja Schaj beugte, und hörte die Worte: »Seminararbeit über die Allusion«, er hörte, wie der ältere Mann zu Schaj sagte: »Bestätigung der Fortbildungsvergütung«, jemand fragte nach einem Seminarschein, ein anderer nach der Bibliographie zu diesem Thema.
    Tuwja Schaj hatte wieder den leblosen Ausdruck angenommen. Michael fragte sich, welcher zerstörerischen, vergänglichen Schönheit Tuwja Schaj wohl huldigte. Plötzlich war es ihm ganz selbstverständlich, daß die Beziehung, die seine Frau mit Tirosch hatte, in Schajs Augen vollkommen gerechtfertigt war. Er senkte den Blick auf das Gedicht – der Band auf dem Holzbrett neben ihm lag noch aufgeschlagen da, der ältere Mann stand neben Tuwja Schaj, der etwas auf ein Blatt Papier schrieb und es ihm reichte –, und dann fiel ihm noch etwas ein. Ja, dachte er, aber nicht alle bewundern die Schönheit so, wie du es beschrieben hast. Es ist nicht ganz so, wie du gesagt hast. Joab zum Beispiel war von der Schönheit nicht beeindruckt und angezogen. Warum? Weil er Kriegsminister war. Er war ein Held ohne Minderwertigkeitskomplexe.
    Er betrachtete Tuwja Schaj, der seine Papiere zusammensuchte, während er dem älteren Mann zuhörte. Das Bild wurde immer klarer. Michael fühlte, daß seine Anwesenheit bei dieser Vorlesung ihm mehr als alles andere Tuwja Schajs Weltsicht klargemacht hatte.
    Wer war von der Schönheit beeindruckt? Doch vor allem du, Tuwja! Warum? Du fürchtest dich mehr als vor allem anderen vor der Armseligkeit der Existenz, vor dem Bewußtwerden der Armseligkeit der Existenz, das ist es. Die Identifikation mit der Schönheit, die Sehnsucht nach dem

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