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Am Anfang war das Wort

Am Anfang war das Wort

Titel: Am Anfang war das Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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las eine Weile in Tuwja Schajs Buch, dann kehrte er zu den Gedichten zurück. Wieder hatte er das Gefühl, nur in ihnen das Ende des Fadens zu finden. Er wußte, daß er mit den Mitgliedern der Sonderkommission nicht über dieses Gefühl sprechen konnte, sie würden den Zusammenhang nicht sehen. Er selbst hätte den Zusammenhang auch nicht erklären können, aber seit er den Film über das Fakultätsseminar gesehen hatte, fühlte er ihn, spürte, daß die Gedichte lebten und atmeten, fühlte ihre Kraft, wie die Schneide eines Messers, und die Bitterkeit in ihm wuchs. »Du täuschst dich«, sagte er beim Lesen zu sich, »sie bringen nichts Neues.« Von Zeit zu Zeit ließ er den Blick durch den Lesesaal streifen, und dann stiegen die Bilder wieder vor ihm auf. Er wehrte sich nicht gegen sie.
    Das Bild Ruth Duda'is bei der Beerdigung ihres Mannes, ihr Gesicht beim Verhör, die weinerliche Stimme, als sie zugab, seit Freitag nachmittag auf einen Anruf Tiroschs gewartet zu haben, daß sie einen Babysitter bestellt hatte, und wie sie dann zusammen mit der Babysitterin gewartet hatte, wie sie dann das junge Mädchen, als er bis abends nicht angerufen hatte, nach Hause schickte. Wie sie dann jede Stunde vergeblich bei ihm angerufen hatte.
    Michael meinte ihre Stimme zu hören: »Es fing an, kurz bevor Ido nach Amerika fuhr, aber ich war nie wirklich mit ihm zusammen.« Er erinnerte sich auch, daß Eli Bachar mit kalter Stimme gefragt hatte, ob sie damit sagen wolle, daß sie nicht mit Tirosch geschlafen habe. Er erinnerte sich an den gekränkten Blick, den sie ihm, Michael, unter Tränen zugeworfen hatte, an die Röte ihrer Wangen und das verlegene Nicken, als er Eli Bachars Frage wiederholt hatte.
    »Es hat damit angefangen, daß ich ihn um Hilfe bei meiner Doktorarbeit gebeten habe«, sagte sie und erklärte das Thema ihrer Arbeit, etwas über Ästhetik. »Er hatte mir lange davor seine Hilfe angeboten, aber es war mir nicht angenehm, ich hatte Angst vor ihm. Er war einmal bei uns, als Ido nicht zu Hause war. Er saß zurückgelehnt auf einem Sessel«, hier gab sie eine plastische Beschreibung seiner Haltung mit den hinter dem Kopf verschränkten Armen, der Handbewegung, mit der er die Locke zurückgestrichen hatte, des interessierten Blicks, mit dem er sie betrachtet hatte, sie sprach von ihrer eigenen Verlegenheit, von ihrer Angst, von ihren zitternden Händen, als sie ihm Kaffee einschenkte. Er habe eine Bemerkung gemacht, daß seine Beziehung zum weiblichen Geschlecht sich erschöpft hätte, und sie wußte, daß er damit Ruchama meinte. Dann zitierte Ruth Tiroschs Sätze über seine eigene Einsamkeit, und Michael meinte wieder ihre flehende Stimme zu hören, als sie ihn fragte, ob er verstehen könne, wie geschmeichelt sie sich fühlte, als Tirosch mit ihr sprach, als könne sie ihn »aus seiner Einsamkeit erretten«. Er erinnerte sich auch, daß er ihr geglaubt hatte, als sie sagte: »Es ist absurd, mich zu fragen, ob ich Ido getötet habe. Wir sind noch nicht sehr lange verheiratet, wir waren gute Freunde, bis er nach Amerika gefahren ist. Diese Reise hat alles kaputtgemacht, deshalb konnte Scha'ul in unser Leben treten, denn Ido war ein äußerst anständiger Mensch, ich bin es auch, ich bin ziemlich normal. Ich glaube auch nicht, daß ich mich wirklich ernsthaft mit ihm eingelassen hätte, mit Scha'ul, er übte nur einen hypnotischen Zauber auf mich aus. Tatsache ist jedenfalls, daß ich mich erleichtert fühlte, als er am Freitag nicht anrief, vor fünf Tagen.« Sie fing an zu weinen und wiederholte: »Fünf Tage, es sind erst fünf Tage.«
    Michael erinnerte sich an Eli Bachars hartnäckige Frage: »Was war in Amerika? Was ist dort mit ihm passiert?«, an ihr unaufhörliches Weinen und die Antwort: »Ich weiß es nicht, wirklich, ich weiß es nicht. Ich habe ihn danach gefragt, aber er hat mir nichts gesagt, wirklich.« Er erinnerte sich auch an die Kassetten, die er zusammen mit Eli Bachar abgehört hatte, Kassetten mit Gesprächen, die Ido mit jüdischen Regimegegnern und Dissidenten geführt hatte, Dichtern und Intellektuellen, die in der Sowjetunion gelebt hatten und nun mit tiefen Stimmen Gedichte vortrugen. Michael konnte sich die Situation genau vorstellen: der ernsthafte, aufmerksame junge Mann, dessen gescheites Gesicht er im Film gesehen hatte, dasselbe Gesicht wie am Strand, dort war es aufgeschwollen und leblos gewesen. Alle Kassetten waren bezeichnet: Ort, Datum und Stunde, Namen der

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