Am Ende Der Straße: Roman
ich an der heißen Flüssigkeit und seufzte wohlig. Sofort spürte ich die Wirkung des Koffeins, wenn auch nicht so stark wie bei einer Tasse Kaffee.
»Danke, Mann. Das habe ich gebraucht.«
»Nichts zu danken. Hier, tu noch was davon rein.«
Er holte eine Flasche Bourbon aus einer Schublade und gab einen Schuss in meinen Becher.
»Jetzt verstehen wir uns«, sagte ich grinsend.
»Besonderer Anlass. Hör zu, Robbie – das von vorhin tut mir echt leid. Ich weiß gar nicht, was da über mich gekommen ist. Ich war stinksauer, aber trotzdem …«
»Lass gut sein«, unterbrach ich ihn. »Wir waren beide neben der Spur.«
Ein paar Minuten lang schwiegen wir und hingen unseren Gedanken nach.
Dann nippte ich wieder an meinem Tee und seufzte. »Der ist echt gut, Mann.«
»Danke. Meine Ex, Olivia, hat mich da draufgebracht.«
»Du hast nie viel von ihr erzählt.«
Er zuckte mit den Schultern. »Nein, schätzungsweise nicht. Man sollte meinen, dass es mir nach so vielen Jahren nichts mehr ausmacht, über sie zu reden, aber das tut es immer noch. Wir haben geheiratet, kurz nachdem ich die Air Force verlassen hatte.«
»Ich wusste gar nicht, dass du bei der Air Force warst. Darüber redest du auch nie.«
»Mann, Robbie. Es gibt viele Dinge, über die ich nicht rede. Die Vergangenheit ist abgehakt, verstehst du? Wir können sie nicht mehr ändern, also weiß ich nicht, warum man noch darin schwelgen sollte. Wie dem auch sei, wir haben geheiratet, nachdem ich den Dienst quittiert hatte. Wahrscheinlich waren wir einfach zu jung. Gott sei Dank hatten wir keine Kinder. Also, ich hätte nichts dagegen, irgendwann Kinder zu haben. Ich bin nur froh, dass ich mit ihr keine hatte.«
Ich fragte mich, ob Russ bei dem Ganzen, was da draußen ablief, überhaupt die Chance haben würde, Kinder zu kriegen, aber ich verschwieg ihm meine Zweifel.
»Es ist nicht so, als hätten wir uns am Ende gehasst oder so. Verdammt, ich habe sie kein einziges Mal betrogen, und soweit ich weiß, war sie mir auch treu. Wir haben uns nur irgendwie auseinandergelebt. Ich weiß, das klingt wie ein billiges Klischee, aber es ist wahr. Als wir geheiratet haben, waren wir fünfundzwanzig, und mit dreißig haben wir uns getrennt. Fünf Jahre scheinen keine lange Zeit zu sein, aber zwischen fünfundzwanzig und dreißig liegen Welten. Das werdet ihr auch noch sehen.«
Wieder überkamen mich Zweifel. So wie es momentan aussah, bestand eine reelle Chance, dass weder Christy noch ich jemals dreißig Jahre alt werden würden.
»Ist ja auch egal«, fuhr Russ fort und starrte in seinen Becher. »Jedenfalls haben wir uns getrennt. Sie ist nach North Carolina gezogen. Hat ein neues Leben angefangen. Eines, mit dem ich nichts mehr zu tun hatte. Ich denke oft an sie. Selbst jetzt noch, nachdem so viel Zeit vergangen ist. Ich dachte, das würde sich ändern. Dachte,
mit der Zeit würden die Wunden heilen. Aber falls das so ist, haben sie eine Menge Narbengewebe zurückgelassen. Besonders nachts. Manchmal wache ich auf, suche die andere Seite des Bettes ab und frage mich, wo sie ist. Und dann fällt es mir wieder ein.«
Ich wollte etwas erwidern, wusste aber nicht, was ich sagen sollte.
»Jedenfalls«, fuhr Russ fort, »habe ich bis heute nichts mehr von ihr gehört oder gesehen.«
»Dann… ist sie nicht tot oder so?«
»Natürlich nicht. Wie kommst du darauf?«
»Christy meint, die Gestalten, die wir heute gesehen haben, wären Geister. Sie hat ihren Dad gesehen, ich meinen Großvater. Beide sind tot. Aber deine Exfrau lebt noch. Dann können es also keine Geister gewesen sein.«
»Soweit ich weiß, lebt sie noch. Aber wer weiß das schon genau? Was ist, wenn das, was uns passiert ist, auch überall sonst geschehen ist? Was, wenn sie gestorben ist und ich nur nichts davon weiß? Dann könnte das womöglich doch ihr Geist gewesen sein.«
Etwas an seinem Tonfall verriet mir, dass er nicht wirklich daran glaubte. Als ich ihn fragte, bestätigte er meine Vermutung: »Ich glaube nicht, dass es Geister waren.«
»Irgendeine Idee, was sie dann waren?«
»Also, ich glaube, was auch immer da draußen ist – die Kraft oder das Wesen, das dort in der Dunkelheit lauert – , hat uns gezeigt, was wir am dringendsten sehen wollten. Unsere tiefsten Sehnsüchte. Ich wette, du hast deinen Großvater sehr geliebt, richtig?«
Ich nickte. »Mehr als irgendjemanden sonst. Er war wie ein Vater für mich.«
»Siehst du. Es wollte, dass wir in die Dunkelheit hinausgehen, also
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