Dieser Kuß veraendert alles
PROLOG
Tate Harrison legte die großen, schwieligen Hände an die Schläfen und starrte durchs Fenster in die Küche der Beckers.
Abgesehen von zwei Tellern, die zusammen mit zwei Gabeln und Gläsern auf der Spüle standen, war alles außergewöhnlich ordentlich. Natürlich, es war ja auch Amys Küche. Die einzigen Fingerabdrücke waren vermutlich die, die er jetzt an der Sche ibe hinterließ. Er schob die Hände in die Taschen und sah sich das Farmhaus von außen an. Es hatte einen neuen Anstrich nötig. Er klopfte ein zweites Mal an die Hintertür und sah wieder durchs Fenster. Wie immer war er derjenige, der von draußen nach drinnen sah. So mochte er es, vor allem, wenn er heim nach Overo kam. Montana gefiel ihm am besten von draußen.
Reichlich Bewegungsfreiheit. Reichlich Gelegenheit für einen Cowboy, weiterzuziehen und sich eine sattere Weide zu suchen, wenn ihm danach war. An das Weiterziehen hatte er sich gewöhnt, es gehörte zu seinem Job und seinem Leben, aber wann immer er in der Gegend war, besuchte er die Beckers.
Diesmal tat er es allerdings mit gemischten Gefühlen. Bis vor einem Jahr hatte Kenny Becker das Land, das Tate nach dem Tod seines Stiefvaters geerbt hatte, gepachtet. Jetzt hier aufzutauchen, um über geschäftliche Dinge zu reden, kam ihm irgendwie komisch vor. Kenny war Tates bester Freund, und Tate wollte ihm das Land verkaufen, sobald Kenny das Geld dafür zusammen hatte. Jedenfalls war das so vorgesehen gewesen.
Doch als Kenny im letzten Jahr die Pacht nicht mehr hatte zahlen können, hatte Kenny ihm versichert, dass es genug Nachbarn gebe, an die er verpachten könne. Aber Tate hatte sein Land keinem anderen verpachten wollen. Er hatte angerufen, der Familie schöne Weihnachten gewünscht und Kenny gesagt, er solle weitermachen und ihm vom Ertrag der Heuernte das zahlen, was er erübrigen könne. Amy hätte nicht gewollt, dass sie das Land umsonst bekamen. Aber er und Kenny waren Freunde, und wenn die Zeiten hart waren, mussten Freunde einander helfen.
"Seid ihr wirklich okay?" hatte Tate damals am Telefon gefragt. Er konnte sich nicht vorstellen, dass Kenny seine Herde verringern würde, obwohl es das einzig Vernünftige wäre.
Kenny liebte seine Pferde, auch die, die kein Geld einbrachten, und genau die Einstellung hatte ihn in die roten Zahlen geführt.
"Weißt du, wenn es sein muss, verkauf meinen Anteil am Heu und nimm das Geld, um..."
"Danke, Kumpel, aber es geht schon. Amy hat da nebenbei was laufen, und... na ja, es ist 'ne lange Geschichte, aber nächstes Jahr sieht's bestimmt schon besser aus. Du solltest endlich heiraten und zur Ruhe kommen, Tate. Ich sag dir..."
"Es geht mir gut, Ken", erwiderte Tate. "Im Herbst setzen wir uns zusammen und überlegen, was wir machen. Notfalls verkaufe ich das Land. Meine Bank sagt mir, die Schürfrechte sind jetzt schon mehr wert als das Gras."
Tate hatte Overo verlassen, als sein Stiefvater vor sieben Jahren starb, und war seit mindestens zwei Jahren nicht mehr dort gewesen. Außer Kenny zog ihn nichts mehr hierher zurück.
Kenny Becker war sein bester Freund.
Leider hatte Amy, die Frau seines besten Freundes, für Tate Harrison und sein unstetes Leben nicht viel übrig. Sie duldete ihn nur, weil sie Kenny liebte. An ihrem Hochzeitstag hatte Tate ihr Glück gewünscht und es ernst gemeint. So, wie es jetzt auf der Farm aussah, war das Glück offenbar etwas knapp geworden.
Tate rüttelte an der Tür, doch sie war verschlossen. Die beiden mussten zusammen in die Stadt gefahren sein. Tate ging ums Haus und rief in Richtung Scheune. Die einzige Antwort kam von den beiden Hunden, die wie wahnsinnig gebellt hatten, als er ankam. Ein Border Collie und ein Catahoula Leopard, beide neu. Er fragte sich, was aus dem alten schwarzen Labrador geworden war, den er und Kenny immer mit zum Angeln genommen hatten.
Auf dem Weg zum Pick-up wäre er fast über ein kleines rotweißes Fahrrad gestolpert, das neben dem
heruntergekommenen 'Zaun lag. Ihr kleiner Junge konnte noch nicht groß genug sein, um damit zu fahren. Mit Kennys lockigem Haar und den großen braunen Augen seiner Mutter war er süß genug, um selbst in jemandem wie Tate den Wunsch zu wecken, irgendwann einmal Vater zu werden.
Tate lehnte sich an seinen Wagen. Die frische Oktoberbrise fühlte sich gut an. Das hier war ein hübscher Ort. Viel Wasser und Gras, schöne Aussicht auf die schneebedeckten Berge.
Heimweh verspürte Tate immer nur dann, wenn er an diese Farm dachte.
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