Am Ende Der Straße: Roman
Gestalten an einer der Tonnen, sich zu schubsen. Ich konnte keine Gesichter erkennen, nicht einmal ihr Geschlecht. Sie waren einfach zwei ringende Schatten. Aber ich hörte das Geräusch von Haut auf Haut und Schmerzens – oder Wutschreie.
»Das ist nicht der erste Kampf heute«, schnaubte Russ. »Seit wir zurück sind, habe ich immer wieder Schreie und Gebrüll gehört.«
»Vielleicht wird es Zeit, dass Peters eine neue Gemeindeversammlung einberuft und versucht, die Leute zu beruhigen — vielleicht könnte man auch einen Plan entwickeln. Er hat sich seit dieser ersten Versammlung überhaupt nicht mehr gerührt.«
»Aber ist es nicht noch etwas früh für eine zweite Versammlung? Wir hatten doch gerade erst eine. Außerdem, was soll das bringen? Ich meine, er ist der Chef der Feuerwehr, nicht der Polizei. Er hat schließlich keine Berechtigung, dem Gesetz Geltung zu verschaffen oder so. Die Leute müssen nicht auf ihn hören, es sei denn, sie verstoßen gegen irgendwelche blöden Brandvorschriften.«
»Er ist eine Autoritätsperson, das ist besser als nichts.«
»Das ist einen Scheißdreck wert, mehr nicht.«
»Heute Morgen hast du noch was anderes gesagt. Als wir bei der Versammlung waren, hast du dich doch mit diesem Kerl gestritten, weil er Peters nicht respektierte.«
»Das war vorhin, jetzt ist jetzt.«
»Was soll das denn heißen?«
»Ich meine damit, dass sich die Dinge geändert haben. Respektiere ich Peters? Klar. Wenigstens versucht er, etwas an der Situation zu ändern. Aber nach dem, was wir heute gesehen haben, glaube ich nicht, dass es viel gibt, was er tun kann. Wach auf, Robbie. Wir sind in dieser Stadt gefangen. Diese Dunkelheit hat uns umzingelt, und wenn sich nichts ändert oder sich die Lage verschlimmert, wird bald jeder sich selbst der Nächste sein. Und wenn das passiert, ist es völlig egal, was Peters plant.«
»Komm schon, wir sind hier doch nicht unter der verdammten Donnerkuppel, Mann.«
»Noch nicht, aber warte ab.«
»Hast du nicht vor kurzem noch gesagt, das würde alles nicht lange dauern?«
»Der Meinung bin ich auch immer noch. Ich glaube, dass es wie jede andere Krise vorbeigehen wird. Aber das spielt jetzt keine Rolle. Die Dinge verändern sich rasend schnell, und manchmal reicht eine Minute, um die Welt ins Chaos zu stürzen. Es könnte alles Mögliche passieren, bevor wir gerettet werden. Nimm doch nur mal New Orleans nach dem Hurrikan Katrina. Die Gewalt und der Wahnsinn – all das fing an, noch bevor der Sturm vorbei war. Die haben in diesem Stadion direkt vor den Fernsehkameras Leute vergewaltigt und umgebracht, einfach, weil sie es konnten. Sind durch die Straßen gezogen, haben Läden geplündert und auf Polizisten geschossen und wussten dabei verdammt genau, dass die Medien alles aufzeichnen. Aber es hat die Leute einfach einen Scheißdreck interessiert. Wenn Menschen glauben, dass sie mit etwas durchkommen, ohne dass es Konsequenzen
für sie hat, stehen die Chancen gut, dass sie es auch versuchen werden. Besonders, wenn sie die Hoffnung aufgegeben haben und verzweifelt sind.«
»Aber so etwas kann hier nicht passieren. Nicht in Walden. Klar, hier gibt es auch Drogen und Verbrechen und so was, aber Aufstände und Plünderungen im großen Stil? Das würde hier nie geschehen.«
»Das kann überall passieren. Der einzige Grund, warum wir heute nicht plündern gegangen sind, ist der, dass wir nach unserem Ausflug an den Stadtrand zu erschöpft waren. Wenn du und ich die Idee hatten, plündern zu gehen, kannst du wetten, dass es einem Haufen anderer Leute auch eingefallen ist.«
Ich zuckte mit den Schultern. »Kann sein, weiß nicht.«
»Hast du mal Einbruch der Nacht von Isaac Asimov gelesen? «
»Glaube nicht.«
»Das ist eine echt tolle Geschichte. Solltest du lesen. Ich leihe sie dir.«
»Wovon handelt sie?«
»Da ist dieser Astronom auf diesem Planeten, wo die ganze Zeit Tageslicht herrscht …«
»Wie kann das sein?«
»Weil es mehrere Sonnen gibt. Dieser Astronom findet jedenfalls heraus, dass all diese Sonnen zum ersten Mal seit Tausenden von Jahren untergehen werden. Als das das letzte Mal passiert war, war ihre Zivilisation zusammengebrochen, weil Massenpanik, Chaos und Wahnsinn ausbrachen, als es dunkel wurde. Denk da mal kurz drüber nach und übertrage es dann auf unsere Situation.«
Irgendwo in der Dunkelheit schrie eine Frau und begann zu schluchzen, als wollte sie den zentralen Punkt unseres Gesprächs unterstreichen. Das Geräusch kam
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