Im Schatten der Mangroven (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
1
Bei Sonnenuntergang war der Himmel schwarz geworden, und das peitschende Unwetter hatte sich vom Golf her landeinwärts gewälzt und New Iberia unter Wasser gesetzt. Die East Main Street war übersät mit Blättern und Ästen, die der Sturm aus dem langen Baldachin von Eichen gerissen hatte, der die Straße von der alten, aus Ziegeln gemauerten Post bis zu der Zugbrücke über den Bayou Teche am Stadtrand überdachte. Die Luft hatte sich jetzt abgekühlt, und sie war durchsetzt mit leichtem Nieselregen und mit dem üppigen, eiweißreichen Aroma von nassem Humus, dem Jasmin, der in der Nacht blüht, Rosen und jungem Bambus beladen. Ich wollte gerade mit meinem Pickup bei Del’s halten, um zum Abendessen für uns drei Portionen Crawfish mitzunehmen, als ein lavendelfarbener Cadillac schlingernd aus einer Seitenstraße schoß, gegen den Bordstein prallte, dabei eine Radkappe auf dem Bürgersteig hinterließ, und lange, schlangenlinienförmige Reifenspuren durch das mattschimmernde gelbe Licht der Straßenlaternen zog, das sich auf dem regennassen Asphalt spiegelte.
Mein Dienst war beendet, und ich war müde und ausgelaugt. Ich hatte den Tag damit verbracht, im Wald nach einem neunzehnjährigen Mädchen zu suchen. Ich fand sie schließlich, wo man sie liegengelassen hatte: in einem Graben, Mund und Handgelenke mit Klebeband umwickelt. Ich hatte bereits versucht, nicht an den Rest zu denken. Der Pathologe war ein netter Mann. Er war mit dem Leichensack zur Hand, bevor irgendwelche Reporter oder Familienangehörigen eintrafen.
Verhaftungen wegen Trunkenheit am Steuer sind mir zuwider. Es ist mir zuwider, die Erklärungsversuche der Fahrer mitanhören zu müssen, ihre mitleiderregenden Versuche, nüchtern zu wirken, mitansehen zu müssen, und es macht mir auch keine Freude, wenn ich sehe, wie die blanke Furcht in ihre Augen tritt, wenn ihnen dämmert, daß ihnen der Gang in die Ausnüchterungszelle bevorsteht und daß ihnen der nächste Morgen wenig zu bieten haben wird, von der Erwähnung ihres Namens in der Zeitung mal abgesehen. Aber vielleicht ist es in Wahrheit auch so, daß es mir einfach nicht gefällt, ein Abbild meiner selbst zu sehen, wenn ich in ihre Gesichter blicke.
Aber ich glaube nicht, daß dieser bestimmte Fahrer noch einen Block weiter kommen würde, ohne einem geparkten Wagen den Kotflügel wegzureißen oder in irgendeinem Vorgarten zu landen. Ich steckte mein tragbares Rotlicht in den Zigarettenanzünder, setzte den Magneten aufs Dach der Fahrerkabine und ließ ihn genau vor The Shadows rechts ranfahren, einer riesigen steinernen Villa mit weißen Säulen, die 1831 hier am Bayou Teche gebaut worden war.
Ich hielt meine Polizeimarke vom Iberia Parish Sheriff’s Department offen in der Hand, als ich an sein Fenster trat.
»Kann ich bitte Ihren Führerschein sehen?«
Er hatte markante Züge, ein römisches Profil, gerade, eckige Schultern und breite Hände. Als er lächelte, sah ich, daß seine Zähne überkront waren. Die Frau neben ihm trug das Haar in blonden Ringellöckchen, und ihr Körper war so geschmeidig, sonnengebräunt und wohlgeformt wie der einer Schwimmerin bei den Olympischen Spielen. Ihr Mund wirkte so rot und verletzlich wie eine Rose. Außerdem sah sie aus, als sei sie seekrank.
»Führerwas wollen Sie sehen?« sagte er und versuchte, mir dabei gerade ins Gesicht zu schauen. Aus dem Wageninnern drang ein schwerer, warmer Geruch an meine Nase, wie der Rauch brennenden feuchten Laubs.
»Ihren Führerschein«, wiederholte ich. »Bitte nehmen Sie ihn aus Ihrer Brieftasche, und geben Sie ihn mir.«
»Oh, yeah, klar doch«, sagte er. »Ach, vorher, da hab ich echt nicht aufgepaßt. Tut mir leid. Ehrlich.«
Er fischte den Führerschein aus der Geldbörse, ließ ihn in seinen Schoß fallen, ertastete ihn wieder und reichte ihn dann hoch zu mir, die ganze Zeit über bemüht, seinen Blick nicht von meinem Gesicht gleiten zu lassen. Sein Atem roch wie vergorenes Obst, das man lange Zeit in einem verschlossenen Steinkrug sich selbst überlassen hatte.
Unter einer Straßenlaterne betrachtete ich den Führerschein.
»Sie sind Elrod T. Sykes?« fragte ich.
»Jawohl, Sir, der bin ich.«
»Würden Sie bitte aus dem Wagen steigen, Mr. Sykes?«
»Jawohl, Sir, was immer Sie wünschen.«
Er war an die vierzig, aber gut in Form. Trug ein hellblaues Golfhemd, Slipper und graue Gabardinehosen, die locker von seinem flachen Bauch und seinen schmalen Hüften fielen. Er schwankte ein wenig und
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