Am Ende der Straße
Lidern.
»Gute Nacht, Christy«, flüsterte ich. »Ich liebe dich. Und ich verspreche dir, dass ich mich um alles kümmern werde.«
Sie murmelte etwas, wachte aber nicht auf. Ich zog mich langsam zurück, um sie nicht zu wecken, und ging dann ins Wohnzimmer. Dann wartete ich. Ich weiß nicht genau, worauf. Ich wartete einfach. Es gab nichts anderes zu tun. Niemanden, mit dem ich reden konnte, und kein Fernsehen. Kein Radio. Ich hatte nicht einmal genug Licht zum Lesen, und selbst wenn ich gewollt hätte, hätte ich kein Buch gehabt. Obwohl ich körperlich immer noch erschöpft war, war mein Geist jetzt hellwach und aufmerksam. Und um alles noch schlimmer zu machen, war auch noch meine innere Uhr im Arsch. Ich wurde das Gefühl nicht los, dass es später war, als die Uhrzeit anzeigte.
Zu spät für uns alle, wie Christy gesagt hatte.
Meine Gedanken kehrten zu der Linie aus Salz und den seltsamen Graffiti zurück, die mitten auf die Straße gesprüht worden waren. Wieder versuchte ich, zu entschlüsseln, was das Bild wohl darstellen sollte. Es hatte eine gewisse Ähnlichkeit mit einer Tür gehabt. Der Geist — also, das Ding, das ausgesehen hatte wie mein Großvater, aber nicht mein Großvater gewesen war — hatte mir befohlen, es zu entfernen. Er hatte gesagt, dass wir wieder zusammen sein könnten, sobald die Symbole
verschwanden. Was hatte er damit gemeint? Den Feuerwehrmännern war nichts passiert, bis sie das Salz und die Symbole überquert hatten. Hatten diese Dinger etwas an sich, das uns schützte?
Über mir erklangen Schritte. Die Erschütterung sorgte dafür, dass die Lampe an der Decke leicht hin und her schwankte. Russ war offenbar auch noch wach. Ich sah ein weiteres Mal nach Christy, um sicherzugehen, dass sie fest schlief. Nach allem, was zwischen uns vorgefallen war, hatte ich ein ungutes Gefühl dabei, sie allein zu lassen, aber ich wollte mit Russ reden und sehen, ob er vielleicht zu einer neuen Sichtweise oder gar irgendwelchen neuen Erkenntnissen gekommen war. Ganz ehrlich, ich hatte Russ’ Verstand immer zutiefst bewundert. Ich meine, er war einer von uns. Aber er wusste allen möglichen Scheiß – Scheiß, den man sonst nur auf dem College oder so lernte. Nicht die Art von Mist, die man lernte, wenn man in einer Kleinstadt in Virginia lebte.
Ich schlich mich aus der Wohnung und ging nach oben. Auf der Treppe war es dunkel, und ich hatte keine Taschenlampe dabei, denn die hatte ich Christy dagelassen, falls sie aufwachte. (Die Batterien in ihrer eigenen Taschenlampe wurden schwach, und der Strahl war auf dem Heimweg ziemlich trüb geworden.) Ich ging langsam und tastete mich blind voran. Mit einer Hand umklammerte ich das Geländer und ließ die Fingerspitzen der anderen an der Wand entlanggleiten, bis ich Russ’ Wohnungstür erreichte. Er öffnete mir beim zweiten Klopfen. Jetzt sah er noch mitgenommener aus als vorher. Und roch auch strenger. Er nahm mich kaum wahr,
sondern nickte nur knapp, bevor er zur Seite trat, um mich reinzulassen. Ich fragte mich, ob er vielleicht trotz seiner Entschuldigungen immer noch sauer auf mich war wegen der Frau und dem Baby.
Als ich die Wohnung betrat, bemerkte ich das Aroma von kochendem Tee. Eigentlich bin ich ein Kaffeemensch und trinke nicht oft Tee, aber dieser Geruch belebte meine Sinne. Ich atmete tief durch die Nase ein. Dann hustete ich. Unter dem Duft lag der scharfe Geruch von Petroleum. Meine Augen brannten ein wenig.
»Willst du eine Tasse?«, fragte Russ. »Ich habe Irish Breakfast oder Darjeeling.«
»Darjeeling? Was zum Teufel ist das?«
»Mann, hast du echt noch nie was von Darjeeling gehört? «
»Nö.«
»Das ist der Champagner unter den Teesorten! Hast du den wirklich noch nie getrunken?«
Ich schüttelte den Kopf. »Nicht dass ich wüsste. Falls doch, wusste ich nicht, dass es welcher war.«
»Tja, dann werden wir das mal schnell ändern. Ich mache dir eine Tasse.«
Ich folgte ihm in die Küche. »Und wie machst du den Mist warm?«
»Ich habe meinen alten Petroleumofen rausgekramt, und da war sogar noch etwas Brennstoff drin. Ich stelle den Kessel drauf, bis das Wasser kocht. So habe ich mir vorhin auch ein paar Fertignudeln gemacht.«
Der Petroleumofen stand mitten in der Küche und warf einen warmen, orangefarbenen Schimmer an die
Wände und Schränke. Hier war es deutlich wärmer als im Rest der Wohnung. Russ nahm einen angeschlagenen Kaffeebecher, warf einen Teebeutel hinein und schüttete heißes Wasser darauf. Ohne
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