Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Am Ende der Straße

Am Ende der Straße

Titel: Am Ende der Straße Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Keene
Vom Netzwerk:
wirbelte zu ihm herum und stach mit dem Finger in seine Brust. Wütend ballte Russ die Fäuste. Christy riss die Augen auf.
    »Ich habe nicht mitgekriegt, dass du etwas getan hättest, um sie aufzuhalten«, schrie ich. »Wenn du ach so besorgt warst, warum hast du ihr dann nicht den Schlüssel weggenommen oder sie und ihr Baby in unser Auto geschleppt und sie in die Stadt zurückgebracht?«
    »Leck mich.«
    »Nein, du kannst mich mal. Du steckst da genauso drin wie ich, Russ. Was auch immer mich überkommen hat, hat dich genauso erwischt. Also schenk dir diese verdammte, selbstgerechte Heuchelei.«
    »Ich habe eine bessere Idee, Robbie. Wie wäre es, wenn ich dir einfach eine reinhaue?«
    »Versuch’s doch.«

    »Hört auf damit, alle beide«, schrie Christy. »Was macht ihr denn da, verdammt? Wollt ihr wirklich hier draußen rumstehen und euch gegenseitig die Fresse polieren? Was soll uns das bringen?«
    Einen Moment lang glaubte ich, Russ würde mir eine verpassen. Sein gesamter Körper war angespannt. Seine Brustmuskeln, in die ich immer noch meinen Finger bohrte, waren hart wie Stein. Dann entspannte er sich und trat einen Schritt zurück.
    »Jesus«, flüsterte er. »Was passiert mit uns, Leute? Was zur Hölle ist hier los? Es tut mir leid, Robbie.«
    »Mir auch, Mann.«
    »Es ist, als würde die Dunkelheit uns infizieren«, meinte Christy. »Als würde sie in unsere Köpfe und Herzen eindringen und uns ebenfalls dunkel werden lassen.«
    Russ schüttelte den Kopf, sagte aber nichts.
    »Vielleicht«, sagte ich. »Oder vielleicht ist das auch nur typisch menschlich. Vielleicht verhalten wir uns automatisch so, wenn wir mit dem Rücken zur Wand stehen. Das halte ich für wahrscheinlicher — auch wenn es nicht gerade ein beruhigender Gedanke ist.«
    »Nein«, widersprach Russ. »Das müssen wir besser hinkriegen. Mir ist scheißegal, wie groß die Angst ist. Wir dürfen nicht anfangen, über einander herzufallen.«
    »Genau«, pflichtete ich ihm bei. »Das dürfen wir nicht. Aber wir hätten es gerade beinahe getan. Was sagt uns das also?«
    Weder Christy noch Russ hatten eine Antwort darauf. Wir gingen weiter den Highway entlang, immer Richtung Stadtzentrum. Ich entschuldigte mich noch einmal
bei Russ und er sich bei mir. Dann sagte ich Christy, dass mir die Sache mit dem Auto leidtäte. Sie bezeichnete mich noch einmal als Arschloch, was ihre Art war, mir zu sagen, dass sie die Entschuldigung akzeptierte.
    Wir haben unser Auto – oder die Frau und ihr Baby – nie wiedergesehen.

ACHT
    I n jener Nacht gab es die ersten Toten.
    Nacht ist hier natürlich ein verdammt relativer Begriff, aber zu dieser Zeit dachten wir eben noch in Kategorien wie Tag und Nacht.
    Als wir unser Haus erreichten, entschuldigten Russ und ich uns noch einmal bei einander. Dann entschuldigten wir uns beide bei Christy, weil wir ihr so einen Schreck eingejagt hatten. Ich fühlte mich wegen meines Verhaltens den beiden gegenüber furchtbar. Ich war emotional erschöpft, hatte aber immer noch Angst und fühlte mich schuldig gegenüber der Frau und ihrem Baby.
    Russ verabschiedete sich und ging nach oben, um etwas zu essen, und Christy und ich gingen in unsere Wohnung, um etwas Zeit für uns zu haben. In diesem Fall bedeutete »Zeit für uns«, dass wir uns noch ein wenig wegen der Sache mit dem Auto stritten, was sich, nachdem der Ärger abgeflaut war, in eine leise, vorsichtige Diskussion über den seltsamen Gefühlsschub verwandelte, der mich dazu gebracht hatte, es zu verschenken. Christy gab zu, dass sie die Traurigkeit ebenfalls gespürt und sich gewünscht hatte, Russ und ich hätten die Frau einfach ihr Ding durchziehen lassen, wenn sie so scharf darauf war, sich und ihr Baby umzubringen. Aber eben nicht mit unserem Auto.

    »Das war die Dunkelheit«, flüsterte sie und schaute verstohlen zum Fenster, als könnte die Finsternis uns hören. Und wer weiß? Vielleicht konnte sie es ja wirklich. »Ich habe mich nicht darüber aufgeregt, dass sie ihr Baby mit da raus nehmen wollte. Ich habe mich nur wegen des Autos aufgeregt. Das bin doch nicht ich, Robbie. Du kennst mich.«
    »Nein«, stimmte ich ihr zu, »das warst nicht du. Keiner von uns hat sich normal verhalten, wir waren alle nicht wir selbst.«
    »Das war die Dunkelheit. Irgendwie hat sie unsere Reaktionen beeinflusst. Unsere Gefühle. Hat dafür gesorgt, dass wir uns so verhalten, wie wir es normalerweise nie tun würden.«
    »Das kann sie nicht.«
    Christy zog die Beine an.

Weitere Kostenlose Bücher