Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens
unterhalten. Sie war ziemlich … neben sich. Dann erschien ihr Mann und rief nach ihr.«
»Er hat dich auch gesehen?«
»Ich glaube nicht. Aber sie kann ihm natürlich von mir erzählt haben. Sie kann jedem erzählt haben, daß ich da war, deswegen könnte ich nicht einmal sicher sein, wenn sie unter den Opfern wäre. Oder ihr Mann. Ich könnte überhaupt nur sicher sein, wenn alle tot wären.«
»Sollte die Polizei dich vernehmen, würde ich an deiner Stelle sofort sagen, daß du dort warst. Wenn du es verschweigst und sie erfahren es dann doch irgendwie, machst du dich erst recht verdächtig.«
Er hatte unglücklich genickt. »Du hast vermutlich recht.«
Sie hatte sich bemüht, kühl zu klingen. »Und was willst du nun von mir?«
Er fing wieder an, hin- und herzulaufen. »Also, nach meiner Berechnung muß es ungefähr zwölf Uhr mittags gewesen sein, als ich die Dicke im Park traf. Eher ein paar Minuten später. Ich
denke, es war noch nicht ganz halb eins, als ich wieder ging. Irgendwann danach muß das … das Schreckliche passiert sein.«
»Das vermutest du. Vielleicht passierte es, während du da warst. Vielleicht sind die Dicke und ihr Mann die einzigen Überlebenden. Oder waren später an der Reihe.«
»Das ist möglich, aber ich glaube es nicht. Das Haus lag so friedlich in der Sonne. Ich glaube nicht, daß man gar nichts merkt, wenn ein Irrer einen Haufen Menschen abschlachtet. Ich vermute, das alles ist passiert, nachdem ich weg war.«
»Vermuten! Vermuten ist nicht …«
Er unterbrach sie wütend: »Ich weiß das! Ich weiß, verdammt noch mal, daß ich im dunkeln tappe und daß alles noch ungünstiger für mich sein kann, als ich jetzt denke. Aber irgendwo muß ich anfangen, und ich kann mich nur für das entscheiden, was am wahrscheinlichsten klingt. Als ich wegging, lebten definitiv noch zwei Menschen in Stanbury House: die dicke Frau und ihr Mann. Und nichts, aber auch gar nichts, wies darauf hin, daß gerade irgendwo auf dem Gelände ein Verbrechen geschah oder kurz zuvor geschehen war. Daher gehe ich davon aus, daß der oder die Täter später zuschlugen. Irgendwann nach halb ein Uhr mittags.«
Sie begriff jetzt, was er von ihr wollte.
»Du brauchst ein Alibi«, sagte sie.
»Für die Zeit nach halb eins, ja.«
Sie versuchte, den Mittag in der Erinnerung zu rekonstruieren. »Wann haben wir uns unten getroffen?«
Offenbar hatte er sich darüber bereits Gedanken gemacht. »Es war Viertel vor drei. Das weiß ich, weil ich auf die Uhr im Auto schaute, als ich den Motor abstellte.«
»Wo warst du zwischen halb eins und Viertel vor drei? Das waren immerhin mehr als zwei Stunden.«
»Ich habe es dir doch gesagt. Ich wollte eigentlich nach Leeds. Ich wollte einen Anwalt kontaktieren.«
»Du kennst keinen Anwalt in Leeds. Du hattest keinen Termin. Das klingt irgendwie … unglaubwürdig.«
»Ich weiß. Aber es war so. Ich war durcheinander. Ich fuhr einfach drauflos und versuchte zwischendurch, einen Freund in London wegen einer Anwaltsadresse in Leeds zu erreichen. Der meldete sich aber nicht.«
»Selbst wenn er sich gemeldet hätte«, sagte Geraldine, »hätte er dir bestimmt nicht von einem Moment zum anderen einen Termin verschaffen können. Das Ganze war doch eine Schnapsidee von dir!«
Er hob hilflos beide Arme. »Klar. Weißt du, ich bin sicher, daß praktisch jeder Mensch schon einmal in einer Situation gewesen ist, in der er konfus und sinnlos agiert, dies dann irgendwann begreift - so wie ich heute mittag - und daraufhin beschließt, erst einmal wieder zur Ruhe zu kommen und sich dann eine neue Strategie zu überlegen. Aber wenn man plötzlich der Polizei einen Überblick geben muß, was man zu einer bestimmten Zeit getan hat, hört sich eine solche im Grunde alltägliche Geschichte auf einmal verdächtig an.«
Es klang plausibel, was er sagte, und dennoch wurde sie den Schatten des Verdachts nicht los. Im Moment war er zwar nervös, aber auch vernünftig und überlegt. Sie kannte ihn jedoch auch anders. Fanatisch, hitzig, unzugänglich für jedes logische Argument. Wäre er in einer solchen Verfassung zu Gewalt fähig?
»Wo warst du vormittags?« fragte sie. »Ich bin ziemlich weit gefahren. In einem gottverlassenen Dorf habe ich in einem Pub einen Brunch eingenommen. Danach bin ich nach Stanbury House gefahren.«
»Wir können nicht behaupten, den ganzen Vormittag zusammengewesen zu sein«, sagte Geraldine. »Falls du den Namen des Pubs nennen mußt und sie sich dort
Weitere Kostenlose Bücher