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Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens

Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens

Titel: Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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unterbrach sie. Er klang jetzt noch angespannter als zu Beginn ihres Gesprächs. »Sie sind ganz allein dort mit ihr? Auf diesem einsamen Anwesen?«
    »Ja. Und deshalb fühle ich mich auch so überfordert, weil …«
    »Jessica, hören Sie, ich möchte, daß Sie jetzt, ohne lange zu fragen, tun, was ich Ihnen sage: Verschwinden Sie. Sehen Sie zu, daß Sie wegkommen, so schnell und so unauffällig Sie können. Beeilen Sie sich. Bitte.«
    Sie schluckte trocken. In ihren Ohren begann es zu rauschen.
    »Dr. Wilbert, Sie meinen doch nicht …«
    »Sie ist gefährlich, Jessica, und hätte ich gewußt, daß man sie entlassen hat … verdammt, ich hätte Sie nie dorthin fliegen lassen. Sie müssen sich jetzt in Sicherheit bringen, verstehen Sie mich?«
    »Ja«, flüsterte sie. Ihre Stimme hatte auf einmal keine Kraft mehr. »Dr. Wilbert …«
    »Ich vermute, daß sie es getan hat. Ich weiß nicht, weshalb man sie hat gehen lassen, aber ich bin fast sicher, daß sie für die Verbrechen verantwortlich ist. Ich kenne sie seit fünfzehn Jahren. Ich habe völlig versagt, indem ich sie nicht rechtzeitig aus dem Verkehr habe ziehen lassen - und indem ich Sie nicht eindringlich
gewarnt habe. Aber noch ist es nicht zu spät. Ich bitte Sie«, er schien nun fast verzweifelt, »retten Sie sich! Versuchen Sie alles, um von dort wegzukommen. Seien Sie vorsichtig, und beeilen Sie sich. Bitte!«
    14
    Irgendwo im Haus schlug eine Uhr einmal, und sie erschrak. Ein Uhr bereits, und sie stand immer noch herum, hatte nicht einen einzigen Handgriff getan. Wie schnell die Zeit doch manchmal verging. Es hätten Minuten sein können, seitdem sie das Haus betreten hatte. Statt dessen trödelte sie seit über einer Stunde.
    Sicher machte sich Jessica langsam Gedanken.
    Sie strich sich mit der Hand über das Gesicht, bemüht, die zermürbenden Grübeleien zu verjagen, die sie ständig quälten, und das besonders, seit sie an diesen Ort zurückgekehrt war. Vielleicht hätte sie nicht herkommen sollen, aber es war ihr wichtig gewesen, Tims Aufzeichnungen an sich zu bringen, und schließlich machte es dann auch Sinn, daß sie ein paar von ihren persönlichen Dingen gleich mitnahm. Sie hatte keine Lust, Stanbury je wiederzusehen. Es war ein wesentlicher Teil jenes alten Lebens, das sie nun endgültig hinter sich lassen wollte.
    Sie stand in ihrem und Tims Schlafzimmer, inmitten der vertrauten Einrichtung: das große Himmelbett, die vielen Kerzen auf dem alten Waschtisch, die Brokatvorhänge am Fenster, die den Raum immer etwas düster erscheinen ließen. Eigentlich hatte sie die Vorhänge nie gemocht. Weshalb hatte sie sie eigentlich gekauft?
    Es war natürlich Tim gewesen, der sie hatte haben wollen. Er hatte den Stoff in einem exklusiven Geschäft in Leeds entdeckt und dann sie, Evelin, mit einem Zettel, auf dem die entsprechenden Maße notiert standen, dorthin geschickt, damit sie sie anfertigen
ließ. Er mußte ein Vermögen bezahlen, aber das war ihm der Umstand wert, vor den Freunden protzen zu können und einmal mehr zu zeigen, daß er von ihnen allen das meiste Geld verdiente. Evelin hatte die luftigen, zartgelben Vorhänge, die Patricia für ihr Schlafzimmer ausgesucht hatte, viel schöner gefunden, aber sie hatte nichts gesagt. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie längst akzeptiert, daß in ihrer Ehe nur das passierte, was Tim wollte. Und ihr einziges Sinnen und Trachten hatte darin bestanden, sich Tims Zuneigung zu bewahren - oder zumindest sein Wohl wollen.
    Die Kerzen, die in kleinen silbernen Haltern auf dem Waschtisch standen, hatten schon lange nicht mehr gebrannt, seit vielen Jahren nicht mehr. Sie hatte sie nie ausgetauscht, es waren immer noch die ersten, die sie dort plaziert hatte. Im ersten Sommer nach ihrer Heirat, ihrem ersten Aufenthalt in Stanbury House. Sie hatte versucht, Romantik in ihre Ehe zu zaubern, aber sie hatte rasch erkannt, daß sie damit nur eine neue Gefahrenquelle eröffnete. Wenn Tim irgendeine Laus über die Leber gelaufen war, konnten ihn brennende Kerzen in einen Wutanfall treiben. Möglicherweise demonstrierte sie in seinen Augen damit schon wieder zuviel Eigenständigkeit. Sie durfte nichts tun, was von der absolut gängigen Alltagsroutine auch nur im mindesten abwich. Was ihn betraf, so kam dies einer Rebellion gleich.
    Sie durfte sich nicht schon wieder in Gedanken verlieren. Jessica wartete. Sie würden zusammen im Dorf zu mittag essen, dann würde sie mit ihrem Anwalt telefonieren. Vielleicht hatte sich etwas in

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